Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
bedeutet«. Wenige Monate später wurden sie ihrer Ämter enthoben. Die Deutschen schufen »Groß-Brüssel« und »Groß-Lüttich« und besetzten die Posten mit ihnen genehmen Kollaborateuren.
Die Razzien trieben Tausende Juden in die Illegalität, sie tauchten unter, und auch eine zweite große Verhaftungswelle führte nicht zu den erwarteten 10 000 Festnahmen. ›L’Ami du peuple‹, das Sprachrohr der Antijüdischen Liga, rief seine Leser auf, Juden an die Gestapo zu verraten.
Die Untergrundpresse und illegale Rundfunksender dagegen ermutigten die Bevölkerung zu Solidarität und Widerstand gegendie deutschen Besatzer. Lokale Partisanengruppen versuchten, die Maßnahmen der Militärverwaltung zu sabotieren, und die Untergrundzeitung ›La Libre Belgique‹ schrieb polemisch: »Bürger, aus Hass für den Nationalsozialismus und aus Loyalität für euch selbst, tut, was ihr noch nie getan habt: Grüsst die Juden.«
Doch das half nichts mehr. In den zwei Jahren zwischen August 1942 und Juli 1944 deportierten die deutschen Besatzungsbehörden 25 000 Juden aus Belgien und Nordfrankreich über Mechelen nach Auschwitz, rund 15 700 Menschen starben direkt nach der Ankunft in den Gaskammern. 1200 überlebten bis zur Befreiung des Lagers.
Ady und Maria lebten mitten in der Antwerpener Altstadt, nur wenige Straßen vom Hafen entfernt. Sie begegneten auf ihren täglichen Wegen den Soldaten und Repräsentanten des Besatzungsregimes. Die Verhaftungen, die Verfolgungen werden den Frauen nicht entgangen sein. Ich konnte in der Biografie von Ady keine konkreten Hinweise finden, ob sie mit den Nazis sympathisierte. Außer einer Fotografie, die den namenlosen Verehrer von Ady auf der Terrasse eines Clubs, vielleicht eines Golfclubs, 1940 in Capellen neben Deutschen in Uniform zeigt, lässt sich durch nichts auf eine besondere Nähe von ihr zur Besatzungsmacht oder zu belgischen Faschisten schließen. Selbstverständlich kann ich sie aus den gleichen Gründen auch nicht ausschließen.
Wir wissen genauso wenig, ob Mutter und Tochter mit der Gegenseite, beispielsweise den Gewerkschaften der Schauerleute oder Matrosen im Hafen sympathisierten, oder mit einer der Untergrundgruppen in Verbindung standen. Unter Umständen waren Maria und Ady mutig, mutiger als wir es ihnen zutrauen, vielleicht betätigten sie sich als Kuriere, transportierten Nachrichten oder Flugblätter in ihren Einkaufstaschen. Oder sie wurden wie so viele Frauen aus Gründen der Menschlichkeit aktiv, nicht aus politischer Überzeugung. Politik wurde woanders verhandelt und gemacht, darauf hatten sie, speziell die Frauen, keinen Einfluss. Möglicherweise leisteten sie still Widerstand, hefteten sich selbst den »Judenstern« an, wie es Tausende Bürger taten, die erst spät, durch die Vorschrift für Juden, den Stern in der Öffentlichkeit zu tragen, alarmiert wurden.
Eventuell waren sie aber auch bereits lange aufgeschreckt, etwa durch den Vorfall im Rex-Kino am Ostermontag 1941. Nach der Vorführung des Propagandafilms ›Der ewige Jude‹ zogen etwa 200 Rechtsradikale, die sich aus der flämischen SS und anderen ultranationalistischen Bewegungen rekrutierten, Parolen wie »Juda verrecke!« grölend durch das jüdische Wohnviertel, zerschlugen Fensterscheiben und steckten die Synagoge in Brand. Möglicherweise sind Ady und Maria, so wie zuvor deutsche Frauen und Männer bei der Schändung der jüdischen Geschäfte und Synagogen am 9. November 1938, hinüber zum Judenviertel gelaufen, in einer Mischung aus Unglaube, Neugierde und Fassungslosigkeit über Glasscherben gestolpert, haben in Brände gestarrt, sich am Rand gehalten.
Das, was die belgischen Faschisten in Antwerpen bewirken wollten, die Bevölkerung in einer großen antijüdischen Bewegung nach dem Vorbild der deutschen Reichspogromnacht mitzureißen – das gelang ihnen nicht. Die örtliche Polizei schaute allerdings tatenlos zu und hielt sich heraus.
Es besteht die Möglichkeit, dass sich Maria und Ady an diesem Ostermontag den Giftfilm von Veit Harlan im Kino angesehen haben. Möglicherweise waren sie so naiv zu glauben, es handle sich um einen normalen Film, unterhaltsam, vielleicht informativ – gehen wir mal hin, wenn es nichts ist, gehen wir halt wieder. Es war Krieg, das Angebot an Unterhaltung war bescheiden, doch Filme im Kino liefen immer. Also waren sie möglicherweise neugierig gewesen, vielleicht tat der Film sogar seine Wirkung auch bei ihnen und sie haben sich infizieren
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