Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
lassen von den suggestiven Bildern, haben in Juden Lebewesen zweiter oder gar dritter Klasse gesehen.
Belege dafür gibt es nicht, doch ich kann mir Maria und Ady nicht vorstellen in einem Kino voller grölender Faschisten, die höhnisch Filmszenen kommentieren, in denen Menschen mit Ratten gleichgesetzt werden. Ich denke, spätestens an der Kinokasse wären die beiden umgekehrt. Sowohl Maria als auch Ady waren stille Personen, die solche lauten Zusammenkünfte nach Möglichkeit mieden.
Möglicherweise arrangierten sich Ady und Maria mit den Besatzern, mit ihren Bedingungen. Um zu leben, zu überleben. Natürlich stellt sich die Frage, wo liegt die Grenze, die nicht überschritten werden darf, wo lag sie für sie? Wo führt der Pragmatismus, der das Leben erleichtert, oder Überlegungen, die in einer anderen Situation völlig normal und verständlich wären, zu Opportunismus, zu allzu weitem Entgegenkommen gegenüber den Siegern? Wir urteilen heute aus völlig anderer Sicht, jener bequemen der Nachgeborenen, wir wissen, wie klein bisweilen der Schritt war vom passiven Zuschauen hin zur aktiven Kollaboration. Wie viele haben weggesehen und dann doch von den Machenschaften der Nazis profitiert. Wie weit verbreitet war nach dem Krieg in Deutschland der Satz »davon haben wir nichts gewusst« – und ist es bis heute. Und dabei haben alle wissen können, was geschah, weil es nicht übersehbar war. Aber bequemer war, wegzusehen.
Sicher, die Nazis haben den Antisemitismus nicht erfunden. Und wären die Deutschen nicht ohnehin bereits für Antisemitismus empfänglich gewesen, hätten die Nationalsozialisten nicht ein solch leichtes Spiel gehabt. Das gleiche gilt, das untermauerte die Publikation von 2007, für Belgien. Antisemitismus war vorhanden – selbst in der Stadt, in der seit Jahrhunderten eine der größten jüdischen Gemeinden lebte, die nicht unerheblich zu deren Reichtum beigetragen hatte. ›Das gefügige Belgien‹ riss die belgische Öffentlichkeit aus ihrer jahrzehntelangen Selbstberuhigung. Das Buch legte offen, dass es unterschwelligen Antisemitismus bereits lange vor den Nazis gegeben hatte, er habe erst eine aktive Beteiligung an der Menschenjagd ermöglicht. Der belgische Staat habe mit den deutschen Besatzern »aus wirtschaftlichen wie ideologischen und juristisch-administrativen« Gründen kollaboriert. Etlichen Belgiern, Teilen der gesellschaftlichen Elite und der belgischen Verwaltung wurde bescheinigt, sie haben sich während der Okkupation verleiten lassen, die deutschen Besatzer tatkräftig bei der Verfolgung der Juden zu unterstützen.
Die flämische Tageszeitung ›De Morgen‹ fasste die Ergebnisse der Studie ernüchtert mit dem Satz zusammen: »Das gelobte Land lag nicht zwischen Maas und Schelde.«
Arbeitspflicht für alle
Lange hing das Gespenst der Deportation nur über »den andern«. Im März 1942 sollte sich das mit der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht ändern. Nun waren alle gemeint: Jeder Mann in Belgien zwischen 18 und fünfzig Jahren und jede unverheiratete Frau zwischen 21 – später sogar 18 – und 35 Jahren wurde zwangsverpflichtet zur »Arbeit im Reich«.
Zuerst traf es die Arbeitslosen. Formal wurde ihnen zwar freigestellt, ob sie in Belgien oder im Reich arbeiten wollten, doch wer sich der Aufforderung verweigerte, nach Deutschland zu gehen, den stuften die deutschen Werbestellen als »asozial« ein und schickten ihn in eines der belgischen Arbeitslager.
Die Sensibilisierung auch unter den nicht-jüdischen Belgiern erreichte einen kritischen Punkt. Die zahlreichen Festnahmen während der Razzien gegen jüdische Bürger in den größeren Städten hatten viele als empörend empfunden und alarmiert. Als nun die Verpflichtungen belgischer Staatsangehöriger zur Zwangsarbeit bekannt wurden – nun waren ja nicht mehr nur die Juden gemeint –, kam es im Sommer 1942 zu offenen Widerstandsaktionen im Land. Nach einer Reihe von Sprengstoffanschlägen, die sich zumeist gegen Kollaborateure richteten, reagierte die deutsche Militärverwaltung mit der Erschießung von Geiseln.
Im nördlichen Nachbarland Niederlande zwangen die deutschen Besatzer bereits seit Jahren mit immer schärferen Maßnahmen Zivilisten zum Arbeitseinsatz, in Belgien hatten die Deutschen zunächst auf Freiwilligkeit gesetzt. Noch 1940 wurde mit den belgischen Behörden eine Vereinbarung getroffen, dass ihre Staatsbürger nicht zum Arbeitseinsatz gezwungen würden und die, die sich freiwillig
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