Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Sorgen um dich mache. Jetzt höre ich auf und wenn du mir schreibst, will ich immer antworten und werde nicht krank und bleibe am Leben. Noch eine schöne Weihnachten und ich werde viel beten für dich und hoffe dich bald wiederzusehen, behalte Mut.
Herzliche Grüße von deiner Tante und Onkel Charley
Es ist außergewöhnlich kalt in diesem Winter, Schlesien ist tief verschneit und die Oder ist fest zugefroren. So wird er auch in die Geschichtsbücher eingehen, als der eiskalte letzte Kriegswinter. Die Menschen frieren noch stärker als gewöhnlich, weil sie zu wenig Heizmaterial haben, sie seit Monaten zu wenig zu essen bekamen und der Krieg an den Nerven zehrt.
Dazu kommt unter den Menschen in Neusalz die Angst vor »den Russen«. Die Sowjetarmee ist unerbittlich auf dem Vormarsch.
Heiligabend feiern Ady und Jupp zusammen mit anderen bei Renée in ihrem warmen Zimmer mit dem großen Ofen. »Ich habe mir in Verviers zwei Flaschen Grand Marnier mitgenommen,« schrieb mir Renée, »ich konnte nicht so viel tragen. Die eine Flasche ist kaputt gegangen. Aber es war unten nur ein kleines Loch drin, ein Riss und von dem Zucker war der wieder dicht. Später, als ich in der Adolf-Hitler-Straße war, war die sehr gut für mich. Ich musste nicht putzen, das wurde gemacht. Ich hatte das noch nie gesehen – meine Eltern waren Arbeiter –, die hatten da eine Bibliothek, ein Teil war sein Bereich, er war Bauingenieur. Aber der andere Teil, ich habe dort jeden Tag gelesen. Heizung war mit einem ganz hohen Ofen, einem Kachelofen und wenn ich kalte Füße hatte, habe ich sie so dagegen gelegt. Der Hausfrau habe ich dort die eine Flasche gegeben. Die andere Flasche habe ich noch gehabt. Wir haben dann ein sehr schönes Weihnachtsfest gehabt und dann noch Neujahr! Dann war sie leer.«
Jupp wäre gerne über die Weihnachtstage zu seiner Familie nach Bottrop gefahren. Er wird hin und her gerissen gewesen sein zwischen der Sehnsucht nach seiner Mutter und seinen Geschwistern und »seiner kleinen Frau«. Ady konnte nicht weg, für sie, die flämische Fremdarbeiterin, gab es keinen Weg nach Hause. Sie saßen bei Renée, sangen und lachten und dann kamen Ady wieder die Tränen, das Heimweh und die Sehnsucht nach Maria.
Am 18. Januar 1945 gedenkt die deutsche Wochenschau des 100. Geburtstages von Carl Benz. Ein Loblied auf den Pionier der Motorisierung – und nun machten sich seine Nachfahren erneut daran, ihre in seinem Namen produzierten Flugmotoren vor dem Feind in Sicherheit zu bringen.
Der Reparaturbetrieb zeigt Auflösungserscheinungen. »Als wir nach der Arbeit zum Essen kamen, waren etwa sechs oder sieben wallonische Mädchen, die wir nicht so kannten, schon abgereist. Sie sind nach Berlin gegangen, vorher schon mit dem Zug, da waren das noch normale Züge.« Mitte Januar waren »die Neusalzer Bürger schon weg nach Westen, viele mit dem Zug, auch meine Vermieterin.« Renée und die anderen, Jupp und Ady machen sich ebenfalls bereit für den Abzug, packen ihre Siebensachen zusammen.
Die Evakuierung der Bevölkerung ist längst vorbereitet. Doch man lässt sich Zeit, den Evakuierungsbefehl zu erlassen. Immer mehr Flüchtlinge aus den Gebieten jenseits der Oder kommen durch Neusalz. Am 21. und 22. Januar 1945 werden die Bewohner aus den Dörfern östlich der Oder innerhalb weniger Stunden evakuiert, doch dann auf andere Orte des Kreises westlich der Oder verteilt. Die Zivilverwaltung geht davon aus, dass der russischen Offensive an der Oder Halt geboten und von dort aus ein Gegenangriff erfolgen werde.
Am 28. Januar wird die Evakuierung der Stadt durch Lautsprecher ausgerufen, einen Tag später jene für den gesamten Kreis Freystadt.
Doch der Abtransport mit Güter- und Personenzügen gestaltet sich schwierig. Zunächst dürfen nur Frauen mit kleinen Kindern die wenigen verfügbaren Züge benutzen. Alle anderen müssen nehmen, was verfügbar ist.
Der Augenzeuge Richard Striegan berichtete in den sechziger Jahren in einem Zeitungsartikel, »Menschen mit Pferden und Wagen zogen täglich durch Neusalz. Bis zum 10. 2. 1945 durchwanderten die Trecks bei 10 bis 12 Grad Kälte unsere Stadt. Nachts suchten diese armen Menschen in Häusern Unterkunft, um am nächsten Tag ins Ungewisse weiterzuziehen, in der Hoffnung, dass die angekündigte Wunderwaffe eine Wendung des Krieges herbeiführen würde.« Die kam nicht mehr, doch welche Katastrophe Hitlers Superwaffe derweil in Antwerpen anrichtete, wusste in Neusalz niemand. »Zu der
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