Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
dieser Fahrt zu ertragen.
»Ich sah eine Frau mit einem Bollerwagen aus Holz, drin drei kleine Kinder, das jüngste war ein Baby. ›Ah, kann ich helfen, habenSie eine Adresse, wo Sie hingehen können?‹ ›Ja‹, antwortete die Frau, ›ich gehe zu meiner Schwester. Es ist nicht so weit‹, und die Kinder begannen zu schreien. Ich fragte, ›oh, hat Ihre Schwester vielleicht Platz, wo wir auch bleiben könnten, auch wenn wir auf dem Boden schlafen müssen?‹ Hauptsache, es wäre drinnen, es war immer noch kalt. ›Oh ja‹, sagte sie, bei ihrer Schwester, das ginge schon in Ordnung, that will be allright. Also habe ich sie mit den Kindern gebeten zu warten und sagte zu ihr wie zu Ady, ›don’t move! Bitte nicht weggehen!‹ Ady fragte, ›wie hast du das gemacht?‹
Weil wir keine Wahl hatten, legten wir unser Gepäck auf den Handwagen und gingen mit zu der Schwester. Bei der Schwester schlief ich auf einem Teppich am Boden und Ady in zwei zusammengeschobenen Sesseln. Ich lag nicht gut, ich hatte mich schon gedreht und gedreht, ich war zu groß, um es genauso zu machen wie Ady. Heute ist mein Rücken schön gebogen. Aber damals noch nicht«, schob Renée ein. »In der Nacht hörte ich draußen jemanden rufen, zuerst verstand ich nicht, was es war, ich dachte, da ruft doch einer auf der Straße, aber beim nächsten Mal hörte ich ›Ady!‹. Ich rannte runter, es war Jupp, er hatte bereits ein Zimmer organisiert. Ady wachte auf und ging mit ihm. Am nächsten Tag kamen sie mich und das Gepäck holen.«
Verwundert fragte ich Renée, wie Jupp sie hat finden können. »Ady hatte Angst, Jupp nicht wiederzufinden, das schon. Jupp war erst zum Bahnhof gegangen. Er war mit dem Lastkraftwagen später abgezogen aus Neusalz. Jupp hat den Eisenbahner gefragt und der sagte ihm, ›ja die sind abgezogen hier, sie müssen mal rufen in der Straße. Wir wissen nicht, wohin die Leute gegangen sind.‹« Ady hatte großes Glück, Jupp wiederzufinden. Wir können zwar annehmen, dass die Daimler-Leute sich gegenseitig informierten, wohin sie gingen, wenn sie die Gruppe verließen, aber so wie die Zustände damals auf den Bahnhöfen waren – Tausende waren unterwegs, alles voller Menschen, die Bahnsteige waren überfüllt von Reisenden mit Koffern, Bündeln, Riesenpaketen, Kindern, die einen wollten ausoder einsteigen, wenn mal ein Zug fuhr, jeder versuchte mit völlig überfüllten Zügen weiterzukommen, die anderen warteten, oft stundenlang –, war es fast unwahrscheinlich, sich wiederzufinden. Wie viele haben sich damals aus den Augen verloren.
Am nächsten oder übernächsten Tag ging es weiter. Die folgenden Stationen passierten sie ohne besondere Vorkommnisse. Ady notierte in ihrer Liste Welchenkirchen, Nisky (Niesky) und Herzerswerda (Hoyerswerda). Sie sind noch immer eine Gruppe von Daimler-Beschäftigten, die flämischen Frauen und Herr Berthold, Renées alter Chef aus Antwerpen.
In Bernsdorf sollten sie sich mit den anderen wieder sammeln. Bernsdorf, 15 Kilometer hinter Hoyerswerda, südlich des Braunkohlereviers, hat heute gut 6000 Einwohner, vor dem Krieg gab es eine Glashütte und ein Baugeschäft, das Holzhäuser und Flugzeughallen herstellte. Der Industriemagnat Hugo Stinnes, der im Ersten Weltkrieg ein Vermögen mit der Ausrüstung der Reichswehr gemacht hatte, war eine Zeit lang Eigentümer des Gutes Bernsdorf gewesen. Zum Ende des Kriegs erwarb die Heeresverwaltung große Geländeflächen im Lehmwald nördlich von Bernsdorf, auf denen eine Niederlassung des Transportkorps Speer untergebracht war. In seinen besten Zeiten verfügte das Kommando über etwa 50 000 Fahrzeuge.
»When we all were together we went by lorries, they had somewhere found, heading West.« Renée sagt »found«, richtigerweise sagt man wohl in diesem Fall, sie requirierten Fahrzeuge, die möglicherweise vom verlassenen Transportkorps Speer stammten.
»Ich saß zusammen mit Joske, einem flämischen Mädchen und ihrem Freund Siegfried in einem VW. Bei dem konnte nur die Bremse betätigt werden, denn wir hatten kein Benzin und waren an einen Drei-Tonner-Lkw angehängt. Wir starteten Richtung Nürnberg. Als wir Bernsdorf verließen, stoppten wir unterwegs, drinnen in den Wagen war es so eiskalt und die ganze Kolonne hat angehalten, um ein Stück zu gehen. Berthold wollte nach Dresden reinfahren, seine Familie hatte dort ein Fabrikgelände. Da wären wir aus der großen Kälte heraus. Und der Karlheinz sagte, nein, er gehe nicht in eine
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