Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Chef, Herrn Berthold, kommen. »Herr Berthold asked me, Daimler-Benz würde nach zwei Wochen erneut umziehen, nach Mosbach. Aber die Fabrik sollte unterirdisch sein, the halls and offices were in underground, oh nee, das ist nix für mich. Ich bin ein bisschen klaustrophobisch und das kann ich nicht. Er sagte: ›Hör mal, das geht nicht mehr lange da – aber psst. Wir haben kein Material mehr. Da ist nichts mehr.‹ He asked, if I would stay with Daimler-Benz or otherwise he would give my dismission. Ich mochte meine sehr nette Bauernfamilie und so ließ ich mich entlassen, und so machten es alle Belgier. All of the sudden every Belgian was dismissed from the factory.«
Im März wurden sie entlassen, offiziell endete ihr Arbeitsverhältnis zum 30. April 1945, acht Tage vor Kriegsende. Nach zehn Monaten, in denen sie mit Daimler durch das Reich getourt waren, endete deren Zuständigkeit. Mit einem Mal waren sie ohne Daimler-Schutz und -Zwang.
Berthold war hellsichtig gewesen. Das, was vom Antwerpener Front-Reparaturbetrieb noch übrig war, wurde eilig verlegt. Die deutsche Gefolgschaft rückte aus Wicklesgreuth ab, quasi in letzter Minute. Um den 21. März herum setzten sich Verbände der Wehrmacht nördlich von Illesheim fest, auf der Linie Gollhofen, Ulsenheim, Herbolzheim, um den heranrückenden Amerikanern zu trotzen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, die Dörfer wurden restlos zerstört. Die Amerikaner rückten von Norden kommend durch Franken vor.
Der von Berthold erwähnte Ortsname Mosbach war eine von mehreren Bezeichnungen für das Verlagerungswerk Obrigheim im Neckartal. In die ehemalige Gipsgrube »Friede« war im Jahr zuvor das äußerst effektiv arbeitende Daimler-Benz-Werk für Flugmotoren aus Genshagen verlagert worden, unter dem Decknamen »Goldfisch«. Wir nehmen an, dass einige Fahrten von Jupp nach Obrigheim gingen. Dort, im zweitgrößten Verlagerungsprojekt am Ende des Krieges, wurde die Flugmotorenfertigung von Daimler zusammengeführt und sollte den Krieg unterirdisch überstehen. Mehrere Tausend KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter waren hier eingesetzt.
Die Amerikaner nahmen schließlich am 1. April 1945 ein menschenleeres Werk ein, nachdem die »Goldfisch GmbH« am Neckar mitsamt der Arbeits- und KZ-Nebenlager geräumt worden war.
Jupp hatte ebenfalls um seine Entlassung gebeten. Er wollte, so erinnerte sich Renée, mit Ady zusammenbleiben und zusammen mit ihr zu seiner Familie nach Bottrop. Einer der Vorgesetzten gab Ady einen Schein mit, damit sie sich in Deutschland frei bewegen konnte. Das Letzte, das Renée von den beiden hörte, war, dass sie nach Frankfurt wollten und von dort weiter hinauf nach Bottrop. Danach verlor Renée den Kontakt zu Jupp und Ady. Renée beschließt, vorerst bei ihrer Bauersfamilie in Immeldorf zu bleiben.
Ady ist nun eine ehemalige Beschäftigte von Daimler – eine ehemalige Zwangsarbeiterin. Nun hat sie nur noch Jupp. Und Jupp kümmert sich. Er sucht eine Unterkunft und findet ein Zimmer im Nachbarort, in Petersaurach, nur wenige Kilometer von Wicklesgreuth und von Immeldorf entfernt, wo Renée auf dem Bauernhof wohnt.
Ady und Jupp kommen bei einer Familie namens Gattinger unter, auf einem kleinen bäuerlichen Hof. Gattinger, Petersaurach Haus Nr. 55, ist der erste Schritt aus der Abhängigkeit des Reichseinsatzes in ein privates Leben.
Ady bleibt viel in diesem Zimmer, sie genießt es, niemand willetwas von ihr, niemand erwartet etwas. Die andere Zeit ist sie mit der Beschaffung von Lebensmitteln beschäftigt, sie hilft ein wenig ihren Vermietern auf dem Hof, dafür bekommt sie Milch, mal ein Ei oder ein Stück Wurst oder Speck. Auch Jupp hilft mit, jeder Mann ist willkommen.
Bisher war die Gegend weitgehend vom Krieg verschont geblieben. Mit dem Näherrücken der Front nehmen auch hier die Tieffliegerangriffe zu. Der Zugverkehr auf den Bahnstrecken kommt fast vollständig zum Erliegen. Schließlich nehmen die Amerikaner Gemeinde um Gemeinde, Höhe um Höhe ein, einige Tage wogt die Front hin und her, geht wieder und wieder über die Dörfer hinweg. Die deutschen Soldaten ziehen sich in die Wälder zurück, versuchen mit Überraschungsangriffen das Unabwendbare abzuwenden. Die Jungen und Alten im eilig zusammengetrommelten Volkssturm sollen retten, was nicht mehr zu retten ist, als schon längst im Radio von Kapitulation die Rede ist. Andere halten sich schon an den letzten Befehl, wenn er auch noch nicht im Klartext ergeht: »Rette sich, wer
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