Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
gestärkte Kleider und Häubchen mit Häkelspitze
auf dem kurz geschnittenen Haar. Eines nach dem anderen näherte sich dem jungen Paar, manche auf eigenen Beinen, noch mehr
in Rollstühlen, die von den Kräftigeren geschoben wurden. Louise und Frederick mussten sich setzen, damit die drei Blinden
ihre Gesichter betasten konnten. Frederick in seinem Frack erschien den neugierigen Fingern eher uninteressant, aber entzückte
Ausrufe wurden laut, als sie Louises kunstvoll aufgeputzte Frisur fühlten, die steife Spitze des bis zum Hals hochgeschlossenen
Kleides und die lang herabhängenden Spitzenmanschetten. Einige erklärten lauthals, dass sie auch bald zu heiraten wünschten.
Andere, die schon mehr von der Welt wussten, seufzten nur und schwiegen.
Louise lächelte, reichte allen die Hand, ließ sich beglückwünschen und beschenken und lauschte den kurzen Reden, die zu Ehren
des Ehepaars gehalten wurden. Sie freute sich von Herzen, und doch hatte sie das Gefühl, dass das alles eigentlich nichts
mehr mit ihr zu tun hatte. Ihr Leben in Hamburg war abgeschlossen. Mit ihrer Heirat war die Tür endgültig hinter ihr zugefallen,
denn weder sie noch Frederick machten sich Illusionen darüber, mit welchem Ausmaß an Gemeinheit und Gehässigkeit man ihnen
begegnen würde. Jetzt, da ihre Beziehung vor aller Welt legal und öffentlich war, blieb ihnen nichts anderes mehr übrig, als
die Stadt zu verlassen. Die Fahrkarten waren gekauft, alle rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten geordnet, die Geschäfte
der Apotheke in aller Form an den Magister Schlesinger übergeben. Sie brauchten nur noch auf den fünfundzwanzigsten Januar
zu warten, an dem ein Dampfer der Woermann-Linie Hamburg in Richtung Kapstadt verließ.
Louise spürte, wie Frederick ihre Hand umschloss und drückte, und als sie ihn anblickte, las sie in seinen Augen dieselben
Gedanken, denen sie soeben nachgehangen hatte. »Du bist innerlich schon an Bord gegangen, nicht wahr?«, flüsterte sie.
»Ja. Ich kann es hier kaum noch aushalten. Und du?«
»Ich bin bereits dabei, die größte und schönste Apotheke von Swakopmund einzurichten.«
Er zog sie an sich und küsste sie unter dem Jubel der Kinder und dem Händeklatschen der erwachsenen Gäste.
2
Zwei Briefe, die Louise erst nach ihrer Ankunft in Swakopmund erhielt, setzten gewissermaßen den Schlussakkord unter die Ereignisse.
Der Erste kam von Dr. Thurner und enthielt einen ausführlichen Bericht über den Prozess gegen Eugenie von Pritz-Toggenau.
Die Baroness wurde verhaftet und, obwohl sie jede Schuld leugnete, vor Gericht gestellt. Selten hatte eine so schöne Frau
unter Anklage so entsetzlicher Verbrechen vor dem Richter gestanden, und so war ihr Name in aller Munde, ihr Bild in allen
Hamburger Zeitungen. Noch bevor der Prozess überhaupt begann, hatte sie neben zahllosen Liebesbriefen, Geldgeschenken und
Blumengebinden ein Dutzend Heiratsanträge erhalten. Männer und Frauen strömten in den Gerichtssaal, die Frauen, um sich über
die Mörderin zu entrüsten, die Männer,um die bleiche Schönheit mit den strahlend eisblauen Augen zu bewundern, die täglich in neuen, atemberaubenden Modekreationen
zur Verhandlung erschien.
Schlau, wie Eugenie war, überließ sie das Reden ihrem Verteidiger und begnügte sich damit, die Rolle der zu Unrecht Verfolgten
zu spielen. Dieser Verteidiger war tatsächlich sein Geld wert. Er brachte das gesamte Indiziengebäude zum Einsturz. Die Anklage
wegen der Morde an Raoul Paquin und Julius von Pritz-Toggenau wurde trotz der Proteste des Staatsanwalts vom Gericht fallen
gelassen, als der Verteidiger Paula Hahnes Abschiedsbrief vorlegte. Was die Lebkuchen anging, so hatte Eugenies Mutter beschworen,
dass sie diese bei einem ihr unbekannten Straßenhändler gekauft habe; die Tochter habe sie nur im Löwenhaus am Jungfernstieg
abgeliefert. Die Phiole mit dem Thallium und Eugenies Fingerabdrücken war zwar in ihrem Zimmer gefunden worden, aber dafür
nannte der Verteidiger ebenfalls eine plausible Erklärung: Thallium, das Haarausfall bewirkte, wurde in einer Zubereitung
als Salbe zur Enthaarung des Intimbereichs verwendet – ein Toilettengeheimnis, das die anwesenden Männer erregt auf Eugenies
züchtig verhüllten Schoß starren ließ. Und warum hatte sie es versteckt? Nun, warum wohl? Es war gefährlich, sie wollte verhindern,
dass irgendeine von den dummen Mägden, die stahlen wie die Raben, es in die
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