Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
anfreundete,
einen raschen Tod einem qualvollen Siechtum vorzuziehen. Aber wenn sie sich schon das Leben nahm, dann wollte sie auch etwas
davon haben. Sie würde nicht als das unbedeutende Fräulein Hahne sterben, sondern in die Geschichte eingehen, wenn auch nur
in die Kriminalgeschichte. Man würde sich an sie erinnern als eine Frau vom Range einer Lucrezia Borgia, einer Marquise de
Brinvilliers. Deshalb hatte sie den Beamten nahegelegt, ihr Kristallfläschchen im Polizeimuseum auszustellen, deshalb hatte
sie ganze Serien von Giftanschlägen und Morden gestanden, die niemals stattgefunden hatten.
Wilhelm Heidegast war nicht so überrascht über diese Erkenntnis, wie es in der Polizeiarbeit weniger erfahrene Menschengewesen wären. Er kannte den seltsamen Drang unbedeutender Menschen, sich wenigstens im Bösen einen Namen zu machen. Sooft
ein besonders grässlicher Mord die Öffentlichkeit erschütterte, drängten sich solche Prahlhänse in seinem Amtszimmer. Diese
unglückselige Frau! Ihr Schattendasein endete mit der kläglichen Hoffnung auf den posthumen Ruhm, eine Giftmörderin gewesen
zu sein. Nicht einmal das hatte ihr gelingen wollen, wie es nun aussah.
A bschied von H amburg
1
Louises zweite Hochzeit verlief weitaus weniger prunkvoll als die erste, aber um vieles glücklicher. Sie hatte ein isabellefarbenes
Kleid gewählt zum Zeichen, dass sie, obschon bereits einmal verheiratet, sich jetzt erst wirklich als Braut fühlte. Als Witwe,
die eine zweite Ehe schloss, durfte sie weder Schleier noch Brautkranz tragen, aber dieses Verbot hatte sie geschickt umgangen,
indem sie ihr Haar als Knoten hochsteckte und diesen mit weißem Tüll und Orangenblüten schmückte. Ihre Brautjungfern waren
vier von Abbé Maxiants Zöglingen und Amy. Diese hatte sich bis zum letzten Tag höchst abfällig über die Ehe als ein Relikt
verstaubter Männerherrschaft geäußert und war dann sehr glücklich darüber gewesen, Brautjungfer zu werden, obwohl Louise ihr
gesagt hatte, wenn sie nur ein einziges böses Wort mit dem Bräutigam wechsle, werde sie sie vom Hausknecht hinauswerfen lassen.
Da weder Louise noch Frederick Verwandte hatten, war Dr. Thurner die ehrenvolle Aufgabe übertragen worden, die Braut in der Kapelle – dem ehemaligen Empfangszimmer – zum Altar zu
geleiten.
Da der Raum überreichlich geschmückt war, schien es Louise, als gäbe sie ihr Eheversprechen in einer Traumwelt aus Blumen
und Kerzenlicht. Jetzt erst, da sie voll Freudein die Zukunft blickte, begriff sie, wie elend sie sich damals gefühlt hatte, als sie um den Preis eines behaglichen großbürgerlichen
Lebens auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte – ein Elend, das ihr gar nicht richtig zu Bewusstsein gekommen war, als
sie in dem bejahrten Bräutigam ihren Rettungsanker aus Not und Furcht sah. Sie hob die Hand, damit Frederick ihr den Ring
anstecken konnte, und spürte, wie seine Finger vor innerer Bewegung zitterten. Der Gedanke ging ihr durch den Kopf, wie ihr
Leben wohl verlaufen wäre, hätte sie ihn geheiratet, ehe die bittere Trennung ihre Beziehung so tiefgreifend verändert hatte.
Sie hätte sich ein Leben lang über sich selbst geärgert, weil sie neuerlich in der Ehe Zuflucht vor den Härten des Lebens
gesucht hätte. Jetzt hatte sie ihr Leben bewältigt. Sie brauchte Frederick nicht mehr als Retter oder Beschützer, und so war
ihr Herz offen für die Liebe zu ihm.
Ihr Blick glitt kurz zu den Brautjungfern und blieb an Amy hängen. Sie wischte sich gerade eine Träne aus den Augen. Louise
hatte immer gewusst, dass ihre Freundin nicht halb so hart war, wie sie immer tat. Und in diesem Augenblick schoss es ihr
wie ein Blitz durch den Kopf, was der Grund für ihren Hass auf die Männerwelt sein mochte …
Die kurze Zeremonie ging vorüber, das frischgebackene Ehepaar schritt aus der Kapelle, wobei Dr. Thurner Frederick am Ärmel zupfte und ihm ins Ohr krächzte: »Na, mein Junge, wie fühlt man sich, wenn man’s geschafft hat?«
Der Hochzeitsschmaus war im ehemaligen Ballsaal angerichtet, der jetzt als Speisesaal diente. Louise hatte eigentlich keine
Lust auf ein Galadiner mit allem Drum und Dran gehabt, aber sie hatte der Kinder wegen zugestimmt, in deren ohnehin von Leid
belastetem Leben ein solches Fest Licht und Freude bringen würde. Die Mädchen waren tatsächlichaußer sich vor Aufregung. Sie waren alle herausgeputzt, trugen weiße Strümpfe, frisch
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