Die Frau des Germanen
dass
seine Ehefrau sich so benimmt, wie es sich gehört.«
Thusnelda spürte, dass jemand an ihrem Rock zupfte. »Lasst Euch den Bernsteinschmuck anlegen«, hörte sie Inaja tuscheln.
Die Stimme ihrer Magd war angstvoll, das brachte Thusnelda in die Wirklichkeit zurück. Wie konnte sie ihren Vater derart brüskieren?
Das Wort einer germanischen Frau galt zwar etwas in der Familie, aber in der Wirkung nach außen hatte sie sich zurückzuhalten.
Thusneldas Mutter hatte immer Stellung bezogen und Einfluss ausgeübt auf ihren Mann – wenn jedoch Gäste im Hause waren, hatte
sie still daneben gesessen und nur ein Auge auf das Gesinde gehabt, damit es die Gäste gut versorgte. Segestes konnte sein
Gesicht verlieren, wenn er den Widerspruch seiner Tochter duldete. Zwar hatte er sie noch nie bestraft, wenn sie eine Meinung
geäußert hatte, die ihm nicht gefiel, aber immer waren sie allein gewesen, wenn Thusnelda sich bei ihrem Vater über Varus’
Gebaren beschwert hatte. Erst vor ein paar Tagen, als sie ihn auf einem Ritt über die Felder der Eresburg begleitete, hatte
sie ihn gefragt, ob ihm die römische Herrschaft auch deshalb so gut gefiel, weil er stets zu Varus’ verschwenderischen Festen
eingeladen wurde. Üppige Gelage, die von den Steuern bezahlt wurden, die man den germanischen Bauern abpresste.
|52| Segestes war ganz ruhig geblieben, als er ihr antwortete: »Es ist immer besser, mit den Wölfen zu heulen, als sich ihnen zum
Fraß vorzuwerfen.«
Dass sie jetzt, in Gegenwart seines Gastes, den römischen Statthalter Germaniens erneut kritisiert hatte, war unverzeihlich.
Reuevoll verneigte sie sich und bat, ohne den Blick vom Boden zu nehmen: »Vergebt mir, Vater. Ich bin nur ein dummes Weib
und kann mich nicht messen mit Eurer Klugheit. Derart einfältig bin ich sogar, dass ich die Stimme erhob, obwohl ich doch
weiß, dass nichts Kluges aus meinem Mund kommen kann.«
Segestes schien zufrieden zu sein. »Eigentlich sollte ich dich bestrafen«, brummte er, »aber da du einsichtig bist, werde
ich davon absehen.«
Ingomar mischte sich ein. »Du bist wirklich sehr gnädig, Segestes. Ich bewundere dich für deine Langmut.«
Segestes warf Thusnelda einen Blick zu, der sie wohl warnen sollte. »Ein junges Mädchen für derart dumme Worte zu bestrafen
würde bedeuten, diese Worte ernstzunehmen.«
Ingomar lachte. »Da hast du auch wieder recht.«
Die Knechte kamen, um die Trinkhörner der Männer ein weiteres Mal zu füllen. Diese Gelegenheit nutzte Inaja, erneut am Rock
ihrer Herrin zu zupfen. »Kommt in die Kammer. Der Bernsteinschmuck!«
Thusnelda nickte und zog sich mit ihrer Dienstmagd zurück. Als Inaja sie auf einen Schemel drückte, glaubte sie, dass sie
ihren Fehler wieder gutgemacht und das Verzeihen ihres Vaters errungen hatte.
»Wie konntet Ihr nur?«, fragte Inaja aufgeregt. »Wollt Ihr am Kreuz enden? Der Statthalter Varus hat schon Kreuzigungen aus
viel nichtigeren Anlässen befohlen. Und wenn Ingomar ihm von Euren Worten berichtet, kann es schlecht für Euch aussehen.«
Thusnelda nickte zerknirscht. »Ja, es war dumm von mir.«
Inaja seufzte übertrieben. »Ihr seht es also wenigstens ein! Ihr könnt wirklich von Glück sagen, dass Euer Vater so gnädig
mit |53| Euch umgeht. Und Ingomar hat Euer Geschwätz zum Glück nicht ernstgenommen. Außerdem schätzt er Euren Vater. Er wird dessen
Tochter nicht an Varus verraten und damit den Vater gleich mit.«
Thusnelda schwieg. Ihre Magd hatte recht. Es war gefährlich, über die Römer Schlechtes zu sagen. Sie bereute es aufrichtig
und würde ihrem Vater bei nächster Gelegenheit noch einmal beteuern, wie leid es ihr tat. Sicherlich würde er ihr spätestens
dann verzeihen, mochte sein Herz auch in diesem Augenblick noch voller Zorn auf seine Tochter sein.
Inaja hatte mittlerweile Thusneldas Bernsteinschmuck aus der Truhe genommen und legte ihn ihrer Herrin um. Eine wundervolle
Kette war es! Thusnelda hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die die Tochter eines reichen Marserfürsten gewesen war. Der Vater
hatte ihr die Kette überreicht, als sie Segestes in sein Land folgte, damit sie Unheil von ihr fernhielt. Mit diesen Worten
war sie auch Thusnelda übergeben worden, und sie glaubte fest an die Heil- und Zauberkraft des Bernsteins. Ein breites Band
aus Bernsteinsplittern, die durch ein feines Lederband miteinander verbunden waren, legte Inaja um Thusneldas Hals, dann rückte
sie die Traube aus
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