Die Frau des Germanen
schenkte sie Agrippina ein warmes Lächeln. Germanicus’ Frau war eine gute Seele, man konnte
ihr vertrauen. »Mir scheint, du bist schon wieder gesegneten Leibes.« Severina lächelte, obwohl sie in Wirklichkeit nichts
als Verachtung empfand angesichts der jährlich wiederkehrenden Niederkünfte ihrer Schwägerin.
Agrippina lächelte sanft. »Mein Gemahl ist überglücklich«, sagte sie, bevor sie den Raum verließ und sich wieder in den Teil
der riesigen Villa begab, den sie mit Germanicus und ihren Kindern bewohnte.
Severina gab Gaviana einen Wink. »Öffne die Schatulle!«
Gaviana war sich der freundlichen Reaktion ihrer Herrin jetzt sicher. Lächelnd öffnete sie die Schatulle und stieß einen Laut |45| der Bewunderung aus, als sie die beiden goldgetriebenen Ohrringe herausnahm. Der Schlag, den Severina ihr versetzte, traf
sie völlig unvorbereitet. Eigentlich war sie stets auf der Hut vor den Launen ihrer Herrin und stolz darauf, sie besser vorhersehen
zu können als alle anderen Haussklaven. Aber diesmal hatte sie sich gründlich getäuscht. Severina hatte zunächst mit einem
zufriedenen Lächeln die Ohrringe betrachtet, dann aber das Pergament entrollt, das dem Geschenk beilag. Wieder und wieder
schlug sie nun auf Gaviana ein.
»Von diesem blonden Germanen nehmen wir keine Geschenke! Verstanden? Nur von seinem Bruder! Nur von dem! Sprich es mir nach!«
Gaviana sank auf die Knie und stieß unter jedem Schlag hervor: »Nur von seinem Bruder! Nur von seinem Bruder!«
Sie verstand nichts von dem, was sie versprechen musste. Und die Angst war viel bedrohlicher als Severinas Wut und ihre Schläge.
Wie sollte sie zukünftig erkennen, welches Geschenk willkommen war und welches nicht? Welcher der blonden Brüder ihrer Herrin
gefiel und welcher nicht?
Der Sommer flog übers Land. Vom Wind wurde er über die Eresburg getragen, hin zur Teutoburg. Thusnelda stand auf dem höchsten
Punkt der Eresburg und sah ihm nach, diesem Strahlen und Wehen, dem Lauf der Sonne und dem Weg der hellen, bauschigen Wolken.
Den Vögeln blickte sie nach, die zum Sommer gehörten, den Blüten, die von einer Bö davongetragen wurden, der Luft, die unter
der Sonne sichtbar zu werden schien. Thusnelda streifte ihr wollenes Tuch ab und dehnte den Rücken. Sie liebte diesen Blick
über den niedrigen Wald, aus dem sich jahrhundertealte Eichen erhoben, über das Sumpfgebiet dahinter und die große Heidefläche
auf der anderen Seite des Waldes. Sie liebte ihn ganz besonders, wenn der Sommer gerade angebrochen war, wenn die Wälder grün
und die Wiesen saftig waren, wenn selbst die Sümpfe ihre Düsternis verloren und unter der Sonne glitzerten und lockten.
|46| Thusnelda wollte sich gerade abwenden, da sah sie einige Reiter am Waldrand auftauchen. Anscheinend hatten sie soeben das
Waldstück durchquert, nun hielten sie auf die Eresburg zu. Es dauerte nicht lange, da erkannte sie den ersten der Gruppe,
dem die anderen in gebührendem Abstand folgten.
Sie raffte das Wolltuch wieder um ihren Körper und lief ins Haus zurück, wo ihr Vater sich aufhielt. Sie fand ihn neben der
Kochstelle, wo er das letzte Schweinefleisch vom Deckenbalken hob, das dort seit dem Schlachtfest hing. In dem natürlichen
Rauchfang über dem offenen Herdfeuer wurde das Fleisch zu köstlichem Schinken, den Segestes für hohe Festtage aufbewahrte.
»Vater, es kommt Besuch«, stieß Thusnelda aufgeregt hervor. »Ingomar ist auf dem Weg zu uns. Fürst Segimers Bruder.«
Segestes nickte, als überraschte ihn diese Ankündigung nicht. »Dann wird es wohl unweigerlich mit Segimer zu Ende gehen«,
sagte er. »Und Ingomar kommt, um seine Nachfolge anzutreten.«
Segestes betastete den tiefroten Bärenschinken, den er in Händen hielt, schien mit der Qualität zufrieden zu sein und gab
Amma einen Wink. Sofort kam die Küchenmagd herbei, nahm den Schinken entgegen und hüllte ihn in saubere Leinentücher.
»Aber Segimer möchte, dass sein ältester Sohn ihm auf den Fürstenthron folgt«, sagte Thusnelda.
Segestes sah seine Tochter ärgerlich an. »Woher willst du das wissen?«
Thusnelda stellte sich zu Amma und tat so, als wollte sie der Magd beim Rühren der Hirsegrütze helfen, die es am Abend geben
sollte. »Man hört so dies und das.«
Segestes schnaubte zornig. »Inaja also! Sie hat ihre Augen und Ohren überall. Ich frage mich, ob sie die richtige Magd für
dich ist. Sie treibt sich überall herum, wo ein Weib alleine
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