Die Frau des Germanen
auch
Hermut. Und wenn er nicht mit ihr sprach, sie nicht mit kleinen Scherzen zum Lachen bringen konnte, dann folgte er ihr mit
den Augen. Kein Zweifel, Hermut war bis über beide Ohren in Thusneldas Dienstmagd verliebt. Wahrscheinlich war er deshalb
so oft an der Eresburg vorbeigeritten und hatte bei jeder Gelegenheit Halt gemacht, um mit Inaja zu reden.
Thusnelda hätte gelächelt, wenn der traurige Augenblick es nicht verboten hätte. Wie einfach das Leben doch für eine Magd
war! Sie konnte sich verlieben, sie durfte tändeln und kokettieren, einem jungen Mann schöne Augen machen, ihm auf die Finger
schlagen, wenn er zudringlich wurde, oder auch nicht, wenn er ihr gefiel. Für die Tochter von Fürst Segestes kam das alles
nicht in Frage. Sie musste den Mann heiraten, den der Vater ausgesucht |67| hatte, und natürlich musste sie als Jungfrau in die Ehe gehen. Alles andere wäre eine schwere Kränkung für den Vater der Braut.
Inaja dagegen …
Verwirrt sah Thusnelda sich um. Wo war Inaja geblieben? Gerade noch hatte sie Hermuts Trinkhorn gefüllt, aber nun war sie
nicht mehr zu sehen. Hermut schien genauso nach ihr Ausschau zu halten wie Thusnelda, aber die Dienstmagd war von einem Augenblick
zum anderen verschwunden. Später behauptete sie, man habe sie im Haus gebraucht. Aber in ihren Augen hatte Thusnelda etwas
gelesen, was sie nicht verstehen konnte. Wäre Hermut mit Inaja verschwunden gewesen, hätte sie sich einen Reim darauf machen
können, so aber blieb das bittere Gefühl, dass Inaja etwas vor ihrer Herrin verbarg. Thusnelda war traurig, hatte sie doch
bisher geglaubt, Inaja habe keine Geheimnisse vor ihr.
Doch schon bald war sie von ihren Fragen abgelenkt worden, denn Arminius trat aus dem Haus und verkündete den Tod seines Vaters.
Hoch aufgerichtet stand er da, ließ den Blick über die Anwesenden gleiten und blieb schließlich an Thusneldas Gesicht hängen,
als er sagte: »Fürst Segimer ist in Walhalla eingezogen.«
Totenstille legte sich über die Teutoburg. Und sie sollte durch kein lautes Wort unterbrochen werden, bevor Fürst Segimers
Körper seinem Geist nach Walhalla gefolgt war. Schweigend war für die Gäste ein Lager errichtet worden, denn es war zu mühsam,
am Abend zur Eresburg zurückzukehren und schon am nächsten Tag zur Bestattung des Fürsten wieder aufzubrechen. Stroh war um
die Feuerstelle herum ausgebreitet worden für die Frauen, die Männer legten sich zum Vieh in den anderen Teil des großen Hauses.
Wie köstlich war das Gefühl gewesen, unter einem Dach mit Arminius zu schlafen! Thusnelda hatte lange wach gelegen, auf die
Atemzüge der anderen gelauscht, auf das Schnauben des Viehs, das zur Kochstelle herüberdrang, auf das Rascheln von Füßen,
das die Stille gelegentlich unterbrach. War es Arminius, der sich erhoben hatte, weil er draußen, in der Natur, mit dem |68| Geist seines Vaters allein sein wollte? Wie gerne hätte Thusnelda sich ebenfalls erhoben, um ihn zu suchen, sich an seine
Seite zu stellen, eins zu werden mit ihm und seiner Trauer, um ihn zu trösten und ihm ins Ohr zu flüstern, dass Wodan die
Geschicke aller Menschen in die richtigen Bahnen lenkte. Man musste nur darauf vertrauen!
Sie wurde aus ihren Gedanken geweckt, als der Trauerzug sich in Bewegung setzte. Die Tore der Teutoburg öffneten sich weit,
Fürst Segimer verließ den Ort, an dem er geboren worden war, an dem er gelebt hatte. Arminius hatte das Schwert seines Vaters
umgebunden, Segimers Schild hielt er in Händen. Flavus trug die Kiste mit den Grabbeigaben – Segimers Werkzeug, seine kostbarste
Fibel und seine Spielsteine.
Langsam bewegte sich der Zug den Hang hinab und hielt auf den nahen Wald zu. Nur wenige Baumreihen waren zu durchschreiten,
dann kam er auf der Lichtung an, in deren Mitte Segimers Männer einen hohen Scheiterhaufen errichtet hatten. Nun standen sie
da, ihre Speere auf den Boden gestützt, die Spitzen in den Himmel gerichtet, und erwarteten zum letzten Mal ihren Herrn.
Mittlerweile waren die Lurenbläser zu hören, die ihre Melodien in den Himmel schluchzten und weinten, dann begannen die Männer
der Teutoburg die Totenformeln zu sprechen. Inaja konnte den Blick nicht von dem toten Fürsten nehmen. Es war das erste Mal,
dass sie einer solchen Bestattung beiwohnen durfte. Ihre Angehörigen waren durch schreckliche Unfälle ums Leben gekommen und
eilig verscharrt worden. Nun erlebte sie, wie man einen Toten
Weitere Kostenlose Bücher