Die Frau des Germanen
ganz und gar Tiberius überlassen.
Er soll Arminius nach seinen Wünschen fragen und dann über seine Zukunft entscheiden.«
Damit wandte er sich Severina zu, um mit ihr über seine Kindheit zu reden, womit er alle Damen seiner Umgebung schon seit
Jahren langweilte.
Severina ließ sich auf einem Diwan nieder, der eiligst von einigen Sklaven ins Atrium getragen worden war, und dirigierte
mit der Rechten den Baldachin, der zum Schutz gegen die Sonne über sie gehalten wurde. Um Germanicus’ ärgerlichen Blick kümmerte
sie sich nicht, als sie versuchte, den Kaiser von seiner Kindheit abzulenken und mit ihm ein unverfängliches Gespräch über
Arminius zu beginnen. Allerdings hatte sie kein Glück. Augustus war der Meinung, dass römische Damen sich ausschließlich um
ihre Schönheit, ihren Ehemann, ihre Kinder und darüber hinaus nur um den Haushalt und ihre Sklaven zu kümmern hatten. Und
da Severina weder Gemahl noch Nachkommen besaß und im Haushalt ihres Bruders lebte, blieb nur ihre Schönheit als Gesprächsthema.
Die rühmte der Kaiser so lange, bis er Arminius vergessen hatte und nach einem Diwan verlangte, auf dem er sich ausruhen konnte.
Wenn er sich frischer |65| fühlte, so kündigte er an, würde er Severina erzählen, wie er unter der Knute seines Erziehers gelitten hatte.
»Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen«, zischte Germanicus seiner Schwester zu, als der Kaiser sich entfernte.
»Und versuch du nicht, Arminius nach Germanien abzuschieben, damit ich ihn nicht mehr sehe.«
»Es ist mir gleichgültig, ob du ihn siehst«, ereiferte sich Germanicus. »Aber es ist mir nicht gleichgültig, wenn du dich
ihm an den Hals wirfst.«
Fackeln loderten, die Dämmerung färbte sich mit ihrem Licht. Sie war nicht mehr grau, sie wurde rot-golden. Eine knisternde
Dämmerung, eine flackernde Stille. Es schien schneller dunkel zu werden als sonst. Der Himmel färbte sich über den alten Eichen
mit der Farbe des Feuers, finstere Wolkenfetzen zogen darüber hinweg, dann war der letzte Widerschein der Sonne verloren,
und der Himmel büßte seine Farbe ein. Die Fackeln allein waren es, die dem Abend noch Leben gaben, ihr sanftes Knistern war
für eine Weile der einzige Laut.
Niemand sprach, als der tote Fürst auf einer gezimmerten Bahre aus dem Haus getragen wurde. Seine Witwe schluchzte auf, dann
herrschte wieder Totenstille. So lange, bis die ersten Füße scharrten und der Zug der Menschen sich in Bewegung setzte, die
Fürst Segimer auf seinem letzten Weg begleiten wollten. Die Tochter, die ihre Mutter stützte, dann die beiden Söhne und sein
Bruder Ingomar, der versuchte, seinen Zorn mit Trauer zu verkleiden. Es gelang ihm nicht. Thusnelda sah seine zusammengepressten
Lippen, die gefurchte Stirn, seinen Blick, der nicht auf dem Leichnam seines Bruders ruhte, sondern immer wieder alles erfasste,
was ihm hätte gehören können. Nun aber war Arminius, der älteste Sohn, zum Fürsten ausgerufen worden. Ingomar konnte noch
so sehr auf seine älteren Rechte pochen, auf den Willen Segimers kam es an und auf dessen Worte.
Eine kurze Anspannung war am Tag zuvor durch seinen müden Leib gegangen, als Arminius an sein Lager getreten war, |66| dann endlich war die Ruhe über ihn gekommen, auf die viele, die bei ihm wachten, schon lange gewartet hatten. Seine Familie,
die ihm ein Ende des Leidens wünschte, seine Widersacher, die auf den Beginn einer neuen Macht hofften. Mit einer schwachen
Handbewegung hatte der Fürst sie alle weggeschickt. Er wollte mit seinem Sohn allein sein.
Auch Thusnelda war hinausgegangen auf den Platz vor dem Haus, auf dem die Mägde und Knechte sie mit Getränken erwarteten.
Sie eilten von einem zum anderen, gossen den Männern Met in ihre Trinkhörner und reichten den Frauen gepresstes Obst.
Thusnelda sah, wie ihr Vater mit Ingomar tuschelte. Arminius’ Onkel schien aufzubegehren, aber Segestes sprach besänftigend
auf ihn ein. Nach und nach wurde Ingomar tatsächlich ruhiger, er musste einsehen, dass er verloren hatte. Die Führungsrolle
war an Arminius weitergereicht worden. Der Sohn empfing soeben die letzten Wünsche seines Vaters. Wie mochten sie aussehen?
Die Wartenden wurden bald unruhig. Was gab der sterbende Fürst seinem Sohn mit auf den Weg? Und wie weit betraf es jeden einzelnen
von ihnen?
Thusneldas Blick fiel auf Inaja, die den Mägden der Teutoburg bei der Beköstigung der Gäste half. Wo sie war, da war
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