Die Frau des Germanen
seine Schwester jedoch längst den Schutz einer stattlichen
Säule gefunden hatte, wurde er nur auf Gaviana aufmerksam. Mit einer wütenden Handbewegung gab er ihr zu verstehen, dass sie
sich zu entfernen hatte.
Severina sah das entsetzte Gesicht ihrer Hauptsklavin, die wusste, dass sie mit einer schweren Strafe rechnen musste, weil
Germanicus ihr dreiste Neugier vorhalten würde oder sogar eine Belästigung des Kaisers, worauf die Todesstrafe stand.
Mit einer knappen Handbewegung schickte sie Gaviana ins Haus zurück und verdrehte ungeduldig die Augen. Ja, ja, sie würde
verhindern, dass Gaviana zur Abschreckung aller neugierigen Sklaven mit dem Kopf nach unten irgendwo aufgehängt wurde. Severina
war zu sehr an sie gewöhnt, um zu riskieren, sich demnächst über andere Sklavinnen zu ärgern, die ihre Wünsche nicht so gut
kannten wie ihre Hauptsklavin. Also würde Gaviana mit ein paar Stockschlägen davonkommen, sie durfte ihrer Herrin dankbar
sein.
Gleichmütig betrachtete Severina Gavianas bleiches Gesicht und ihre schreckgeweiteten Augen. Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln
gab sie ihr zu verstehen, dass auch der Gedanke an Strafe ihr nicht das Recht gab, sich bequem gegen eine Säule sinken zu
lassen, nur weil ihre Beine vor Angst zitterten.
»Damit bin auch ich, damit ist das ganze römische Reich Arminius verpflichtet«, fuhr der Kaiser mit seiner müden Stimme fort.
»Mögen Arminius und sein Bruder auch in Pannonien |63| gebraucht werden, ihr Vater, der sterbende Cheruskerfürst, braucht sie jetzt dringender. Tiberius’ Entscheidung, die beiden
in ihre Heimat zu entlassen, war sicherlich richtig.«
Severina sah, wie Germanicus sich vorbeugte. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn in den Schoß. »Es wäre zu überlegen«, begann
er vorsichtig, »ob Arminius fortan besser Dienst in Germanien tut. Varus kann Unterstützung gebrauchen. Es gibt noch immer
germanische Stämme, die sich gegen die römische Herrschaft wehren. Die Aufstände, zu denen es häufig kommt, sind lästig. Arminius
ist einer der ihren, ein Germane, der nun römischer Offizier, ein Ritter des römischen Reiches ist. Sein Wort gilt mehr als
die Angst, die Varus mit seiner strengen Herrschaft erzeugt. Besser, wir bekommen ihre Unterwerfung und ihre Treue durch Überzeugung
als durch Zwang.«
Der Kaiser schien über Germanicus’ Worte nachzudenken, während Severina hinter ihrer Säule vor Wut bebte. Ihr Bruder wollte
dafür sorgen, dass Arminius nicht nach Rom zurückkehrte? Er wollte ihr den Geliebten nehmen, weil er vermutlich längst einen
römischen Adeligen für sie ausgesucht hatte? Oder einen steinreichen Geschäftsmann, dessen Zugehörigkeit zur kaiserlichen
Familie Germanicus irgendeinen Vorteil verschaffte? Was dachte ihr Bruder sich dabei!?
Sie gab Gaviana einen Wink, damit sie ihr folgte, und schlenderte auf die beiden Männer zu, als wäre es ihre Gewohnheit, in
der Hitze durchs Atrium zu spazieren. Germanicus wusste, dass sie sich, solange die Sonne schien, in ihren Räumlichkeiten
aufhielt, und sich, wenn es erforderlich war, das Haus während der heißen Tageszeit zu verlassen, nur in einer Sänfte mit
dichten Vorhängen befördern ließ, die sie vor der Sonne schützten. Aber der Kaiser wusste es nicht, und da er selbst die Sonne
liebte, seit er älter geworden war, sah er Severina arglos lächelnd entgegen.
Freundlich erkundigte er sich nach ihrem Wohlergehen, während Germanicus seine Schwester wütend anstarrte, weil er sich denken
konnte, dass sie gekommen war, um an seinem Gespräch mit dem Kaiser teilzuhaben.
|64| »So viel Mühe für diese Barbaren?« Severina lächelte und schloss damit ohne Umstände an die Unterhaltung der beiden Männer
an. »Wenn Varus seiner Aufgabe ohne Arminius’ Hilfe nicht gerecht wird, sollte man ihn wieder nach Syrien schicken.«
»Was verstehst du schon von unseren germanischen Provinzen?«, fuhr Germanicus seine Schwester an.
Aber ein tadelnder Blick des Kaisers ließ ihn verstummen. Augustus mochte keine Streitereien in seiner Gegenwart, und Unhöflichkeit
war ihm zuwider. Er begegnete einer Dame immer zuvorkommend, solange sie seine Gunst verdiente, und verurteilte sie mit leichter
Hand zum Tode, wenn sie ihrer nicht mehr würdig war. Dazwischen gab es wenig, das Spektrum seiner Würdigung war erschreckend
gering.
Bevor er Severina bat, sich zu ihm zu setzen, sagte er zu Germanicus: »Ich werde die Angelegenheit
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