Die Frau des Praesidenten - Roman
Deine Sympathiewerte sind unerreicht.«
»Diese Zahlen bedeuten überhaupt nichts.«
Er zuckt mit den Schultern. »Mit der Ansicht rennst du bei mir offene Türen ein, aber komm schon – Amerika liebt dich. So wie du heute gefeiert worden bist …«
»Du brauchst mir nicht zu sagen, wie großartig ich bin«, sage ich.
»Ach nein? Ich fände es nämlich gar nicht übel, wenn du genau das für mich ab und zu tun könntest.« Zum ersten Mal, seit wir das Schlafzimmer betreten haben, lächelt Charlie. Es ist kein 1000-Watt-Grinsen, aber immerhin ein ehrliches.
Ich lasse meinen Blick zum Kamin hinüberwandern, auf dem zwei Porzellanvasen, die einmal Dolley Madison gehört haben, den Fernseher flankieren, und sehe dann wieder meinen Mann an. »Heute im Flugzeug habe ich darüber nachgedacht, wie mir seit Andrew Imhofs Tod alles, was mir Gutes geschieht, wie eineGnade erscheint. Besonders dass ich dich kennenlernen und dich heiraten durfte – ich fand nicht, dass ich so ein großes Glück verdient hatte. Und als du dann als Gouverneur und später als Präsident kandidiert hast, habe ich trotz all meiner Zweifel nie auf meinem Standpunkt beharrt, weil ich glaubte, ich hätte nicht das Recht dazu. Wer bin ich denn, dass ich anderen Menschen vorschreiben könnte, wie sie ihr Leben zu leben haben? Ich bin ja selbst nicht so ein Ausbund an Perfektion.« Ich zögere; jetzt kommt der Teil des Gedankens, der schwerer auszusprechen ist, weil ich darin nicht nur mich selbst beschuldige, sondern auch ihn. »Aber wenn du bestimmte Entscheidungen getroffen hast und ich sie mitgetragen habe«, sage ich, »bin ich dann nicht mit dafür verantwortlich, indirekt zumindest? Wenn man es so sieht, dann verblasst der Unfall im Vergleich zu all den Todesfällen seit Beginn des Krieges. Als ich den Tod eines einzigen Menschen verschuldet hatte, dachte ich schon, ich würde es selbst nicht überleben, und jetzt sind es Tausende, und nicht nur Amerikaner, sondern …«
»Das ist doch völlig verrückt!« Charlie kommt mit großen Schritten zu mir herüber, zieht mich von der Bank hoch, legt seine Hände um meinen Kopf und sieht mich eindringlich an. Er wirkt hoch konzentriert und wild entschlossen, aber nicht feindselig. »Du redest wirres Zeug, hörst du? Unter jedem amerikanischen Präsidenten gab es Kriegsopfer, unter jedem einzelnen, ohne Ausnahme. Du bist so gutmütig, dass du dich persönlich verantwortlich fühlst, Lindy, aber es hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Wenn es darum geht, die Demokratie zu verbreiten, gibt es nun mal Kollateralschäden, und das klingt jetzt vielleicht herzlos, aber egal, von welchen Schätzungen du ausgehst, ist die Zahl der Opfer in diesem Krieg gar nicht vergleichbar mit denen in Vietnam oder im Zweiten Weltkrieg. Und du kannst dir sicher sein, dass es auch da genug Leute gab, die gegen den Krieg protestiert haben, aber niemand denkt heute daran zurück und sagt: Hätten wir Europa doch besser Hitler überlassen. Du steckst eben mittendrin, und das macht es schwer, die Dinge in Perspektive zu rücken – mir fällt es manchmal auch nicht leicht –, aber unsere Nachfahren werdenuns einmal dankbar sein, Lindy, das weiß ich. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel.«
Habe ich nur deshalb gerade ihm mein Herz ausgeschüttet – nicht Jessica oder Jadey oder sogar meinem Schwiegervater –, weil ich wusste, dass er mir leidenschaftlich widersprechen würde? Wer hätte von meiner Unschuld überzeugter sein können, wem sonst wäre sie so ein Herzensanliegen wie Charlie? So ähnlich habe ich mir schon damals von ihm einreden lassen, es sei nichts dabei, mich gegen Denas Wunsch mit ihm zu treffen.
»Sie haben dich heute wirklich weichgeklopft, oder?«, sagt er. »Die alte Hexe und Mr. Sympathy haben dir die Hölle heißgemacht, weil du zu nett bist, um sie dir vom Leib zu halten. Aber nur weil sie wissen, wie man mit Worten umgeht, heißt das noch lange nicht, dass sie recht haben.«
Oh, Charlie. Oh, mein geliebter und geschätzter Ehemann in deinem weißen Hemd und der gelockerten Krawatte, der du so warm, so aufgewühlt und so vertraut vor mir stehst, an dem ich jeden Ausdruck, jede Geste, jeden Zentimeter Haut kenne, mein Partner in diesem befremdlichen Leben, das wir führen, der Mann, den ich schon immer glücklich machen wollte, der mich immer aufgeheitert hat, den ich immer geliebt habe – meinst du, ich wüsste nicht allzu gut, dass jemand nicht recht haben muss, weil er gut mit Worten
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