Die Frau des Seiltaenzers
wie man so schön sagt, für Gottes Lohn.«
Nach einer Weile, während sie schweigend nebeneinander hergingen, fragte Wendelin: »Und Ihr? Ich meine, Ihr macht nicht gerade den Eindruck, als läge es in Eurer Absicht, den Schleier zu nehmen und den Rest Eures Lebens in einem Kloster zu verbringen, schon gar nicht bei den Mönchen von Eberbach.«
Magdalena lächelte vielsagend vor sich hin, aber sie schwieg. Es schien wenig ratsam, sich einem wildfremden Mann anzuvertrauen, auch wenn manches in seinem Verhalten für seine Ehrlichkeit sprach.
»Verzeiht meine Neugierde«, entschuldigte sich Schweinehirt, »aber das ist nun mal meine Art. Als Briefmaler sind mir die unglaublichsten Geschichten zu Ohren gekommen. Seither bin ich süchtig nach Geschichten, die das Leben schrieb. Und das Leben hat mich gelehrt, dass jeder von uns sein Geheimnis mit sich herumträgt. Sicher macht Ihr da keine Ausnahme.«
Irritiert hielt Magdalena inne und sah Schweinehirt prüfend an. Man konnte meinen, dieser lebensoffene Briefmaler und Bibliothekar wusste mehr über sie, als ihr lieb sein konnte.
»Und was die Geheimnisse im Kloster Eberbach betrifft«, fuhr Wendelin fort, »so kenne ich nicht alle, aber doch die allermeisten. Und seid versichert, das sind nicht wenige.«
Obwohl sich niemand in ihrer Nähe befand, der ihr Gespräch hätte belauschen können, hielt Schweinehirt die Hand vor den Mund und sagte: »Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn Ihr allerlei merkwürdigen Gestalten begegnet, denn das Kloster ist auch ein Zufluchtsort für Verfolgte – was im Übrigen ein einträgliches Geschäft ist. Denn das Eingangstor der Abtei verwehrt nicht nur den Schergen von Kurfürst und Kaiser den Zugang, sogar die Dominikaner der Inquisition, die sonst überall Zutritt haben, dürfen ihre schmutzigen Füße nur mit besonderer Erlaubnis auf den geheiligten Boden von Eberbach setzen.«
Die Worte des Briefmalers machten Magdalena immer unruhiger. »Woher kennt Ihr meine Vergangenheit?«, platzte es aus ihr heraus.
»Ihr irrt Euch«, erwiderte Wendelin beschwichtigend. »Ich kenne weder Euch noch Eure Vergangenheit, und wenn es Euch beruhigt, könnt Ihr sie gerne für Euch behalten. Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht. Wenn eine Frau von Eurer Schönheit, Euren Umgangsformen und dem Selbstbewusstsein, das Ihr zur Schau tragt, das Kloster Eberbach aufsucht, dann gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder ist sie auf der Flucht vor den Nachstellungen eines Mannes, oder sie ist einem Nonnenkloster entsprungen, oder die Inquisition verfolgt sie, um ihr den Prozess zu machen.«
Magdalena nickte zustimmend. »Ihr seid ein schlauer Fuchs, Schweinehirt. Ich will Euch die Wahrheit sagen: In gewisser Weise treffen alle drei Möglichkeiten auf mich zu. Und irgendwie hängen sie alle drei auf perfide Weise zusammen.«
Da blies der Briefmaler die Luft durch die Lippen, als wolle er sagen: Kein leichtes Schicksal. Doch dann gewann seine angeborene Neugierde die Oberhand, und er sagte: »Ihr könnt mir vertrauen. Wenn es Euch guttut, erzählt mir Euer Leben!«
Dort wo sich dem Kisselbach ein Wiesenhang entgegenstemmt, sodass das muntere Gewässer beinahe ängstlich eine jähe Biegung einschlägt, ließen sich Magdalena und Wendelin Schweinehirt nieder, und sie begann zu erzählen. Leidenschaftlich und mit der Ausführlichkeit, in der ein Theologe über die Bergpredigt spricht, legte Magdalena vor dem Briefmaler ihr Leben bloß: das trostlose Dasein im Kloster Seligenpforten, ihre abenteuerliche Flucht und wie sie den Gauklern in die Arme lief. Dabei sparte sie ihr Verhältnis mit dem Großen Rudolfo, seinen unerwarteten Tod und seine rätselhafte Verbindung zu einem Geheimbund, dessen jahrtausendealtes Wissen ihm erst zu seiner Kunst verholfen hatte, nicht aus. Sie achtete jedoch sorgsam darauf, dass sie den Namen des Bundes der Neun Unsichtbaren nicht erwähnte, ebenso wenig, dass sie sich selbst deren Wissens bereits einmal bedient und einen der Mainzer Domtürme auf dem Seil bestiegen hatte. Sie fürchtete, Schweinehirt könne sie bedrängen, um nähere Einzelheiten zu erfahren.
Der Briefmaler Wendelin lauschte ihren Erzählungen, ohne ihren Redefluss auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Ja, als Magdalena geendet hatte, blickte er sie erwartungsvoll an, ob ihr Bericht nicht weiterginge, ob ihr Leben nicht einen neuen, noch aufregenderen Verlauf genommen habe.
Inzwischen warf die Hochsommersonne lange Schatten und sank schließlich
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