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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Getreidefeldern banden Frauen Garben und richteten sie zu zeltartigen Gebilden auf.
    Wo der Weg vom Flussufer des Rheins nordwärts abzweigte, lenkten die Kutscher den Wagen eine Stunde bergan auf das Rheingaugebirge zu, wo ihr Ziel versteckt in einem Hochtal lag. Der Kisselbach, ein munter sprudelndes Gewässer, hatte sie linker Hand auf der letzten Meile begleitet, als der steinige Weg, der die Insassen des Wagens gehörig durcheinanderschüttelte, vor einem großen hölzernen Tor endete. Ein Pförtnerhaus und hohe, mit Zinnen bewehrte Mauern versperrten den Zugang.
    Beherzt sprang Matthäus Schwarz vom Wagen und schlug mit der Faust gegen das Tor, worauf sich in dem Bollwerk ein Guckloch öffnete, kaum größer als zwei Handbreit im Quadrat, und ein von Falten zerfurchtes Gesicht zum Vorschein kam.
    »Laudetur Jesus Christus«, krächzte es aus dem Guckloch.
    »Laudetur«, erwiderte Matthäus. »Sagt Eurem Abt Nikolaus, Matthäus Schwarz, der Abgesandte des Fuggers, stehe vor dem Tor und wünsche, ihn umgehend zu sprechen. Umgehend, hat er verstanden?«
    Als habe er soeben dem Gottseibeiuns ins Antlitz geblickt, ließ der Pförtner das Türchen offen stehen und verschwand.
    Schwarz gab Magdalena ein Zeichen abzusitzen und einen Blick durch das Guckloch zu werfen. Die kam seiner Aufforderung nach, aber da sie zu klein und das Fenster zu hoch in das Tor eingelassen war, musste Matthäus sie hochheben.
    Hinter dem Tor tat sich eine wundersame Welt auf, eine kleine Stadt, von jenem Bach durchzogen, der sie bereits ein Stück des Weges begleitet hatte. Das alles war gewaltiger in den Ausmaßen und ganz anders als das Kloster Seligenpforten, in dem sie vier Jahre zugebracht hatte. Über einen großzügig angelegten Garten hinweg fiel der Blick auf eine turmlose Basilika, hinter der sich lang gestreckte Bauten, Wirtschaftsgebäude, Scheunen und Stallungen versteckten.
    Irritiert registrierte Magdalena das wohlige Gefühl, das ihren Körper durchströmte, als Matthäus sie an sich presste. Aber irgendetwas in ihr wehrte sich gegen das aufkommende Gefühl, und mit einer heftigen Bewegung wand sie sich schließlich aus seiner Umklammerung.
    Ganz nah standen sich beide einen Augenblick gegenüber, so nah, dass jeder den Atem des anderen spürte, und ihre Blicke begegneten sich, verunsichert, beinahe schüchtern – da öffnete sich das Tor, knarrend und quietschend, und holte sie in das Hier und Jetzt zurück.
    Aus dem Klosterhof trat ihnen Abt Nikolaus entgegen, unschwer zu erkennen an seinem vornehmen geistlichen Habit und dem würdevollen Auftreten, das sich jedoch schnell änderte, als ihn der Gesandte des Fuggers nach kurzer förmlicher Begrüßung beiseitenahm und heftig auf ihn einredete.
    Alles Weitere ging so schnell vonstatten, dass Magdalena erst sehr viel später begriff, was geschah. Matthäus Schwarz verabschiedete sich hastig, indem er seine Wange an der ihren rieb. Binnen weniger Tage, so versprach er ihr, wolle er wiederkommen und nach dem Rechten sehen. Dann preschte er in seinem vornehmen Planwagen davon.
    Der Abt geleitete sie ohne ein Wort zu verlieren zum Konversenbau des Klosters, einem lang gestreckten, zweistöckigen Gebäude, dessen Treppen und Gewölbe jedem Fremden Furcht einflößten, und wies ihr im oberen Stockwerk eine Zelle zu. Mit einer angedeuteten Verbeugung verschwand er.
    Ein Tisch, ein Stuhl und ein Bettkasten waren die einzige Möblierung der Zelle, dazu an der Längswand ein hölzerner Kleiderrechen. Durch das Fenster ging der Blick über einen breiten Graben, in dem ein Bach plätscherte, auf ein Wirtschaftsgebäude, vor dem Weinfässer gelagert waren, und auf eine Mühle – die Aussicht konnte nicht schöner sein.
    Dennoch hatte Magdalena nur den einen Gedanken: Weg von hier, sobald wie möglich! Gewiss, der Fuggersche Gesandte hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, als er ihr eröffnete, die Inquisition habe ein Auge auf sie geworfen. Und wenn sie an Melchior dachte und an das traurige Schicksal seiner Mutter in den Fängen der Inquisition, dann konnte sie froh sein, ein halbwegs sicheres Versteck gefunden zu haben. Aber das mürrische Verhalten des Abtes verunsicherte sie.
    Auch wenn er dem Fugger und seinem Gesandten aus mancherlei Gründen verpflichtet war, wer wollte wissen, welches Spiel der Ordensmann spielte? Im Übrigen war Magdalena nicht aus demZisterzienserinnenkloster Seligenpforten geflohen, um bei den Zisterziensermönchen von Eberbach ein heimliches Dasein

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