Die Frau des Seiltaenzers
hinein, da kam es zu einer unerwarteten Begegnung.
Auf der Suche nach einer nutzbringenden Beschäftigung erbot sich Magdalena, Wendelin Schweinehirt bei der Archivierung der Klosterbibliothek behilflich zu sein. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn sie hoffte, auf diese Weise an Wissen über die Geheimnisträger heranzukommen, mit denen Rudolfo einst in Verbindung gestanden hatte.
Als sie nach der Morgensuppe die Bibliothek betrat, die sich durch ein unüberschaubares Chaos auszeichnete wie das Weltall vor dem ersten Schöpfungstag, entdeckte sie im hinteren Teil eine kleine, untersetzte Gestalt an einem Lesepult. Der Mann trug Mantel und Barett und schien in einen vor ihm liegenden Folianten vertieft.
Noch bevor sie sich bei Schweinehirt nach dem ungewöhnlich vornehmen Herrn der Wissenschaften erkundigen konnte – zweifellos handelte es sich um einen solchen –, legte Wendelin seinen Zeigefinger auf die Lippen, zum Zeichen, sie solle ihn um Himmels willen nicht stören. Im Flüsterton erklärte er, es handele sich um den berühmten Magister, Zauberer, Schwarzkünstler, Naturforscher, Quacksalber und Gott weiß was noch alles Doktor Johannes Faust.
Magdalena erschrak. Sie warf dem Magister einen verstohlenen Blick zu. Kein Zweifel, es war jener Mann, dem sie nachts im Wald bei Miltenberg begegnet war. Der Mann, der nachts an Rudolfos Gauklerwagen geklopft und die geheime Formel der Neun Unsichtbaren aufgesagt hatte: Satan – Adama – Tabat …
»Was tut er hier?«, flüsterte Magdalena.
Schweinehirt hob die Schultern. »Er betreibt, wie es einem Magister und Schwarzkünstler zukommt, wissenschaftliche Studien. Weiß der Teufel, worum es sich dabei handelt. Ich beobachte ihn schon seit geraumer Zeit.«
»Vielleicht sucht er in den Folianten des Klosters nach einer Möglichkeit, wie er Steine zum Reden bringen kann.«
Damit ihm kein Lacher auskam, hielt Schweinehirt die Hand vor den Mund. Wenn er sich Magdalenas Situation vor Augen führte, dann legte das Frauenzimmer bewundernswerten Humor an den Tag. »Dieser Doktor Faust«, raunte er Magdalena zu, »ist ein ziemlich undurchsichtiger Zeitgenosse, ein Schwarzkünstler eben, und die behaupten ja, von allem und jedem eine Ahnung zu haben.«
»Das klingt, als wäret Ihr mit Doktor Faust über ein wissenschaftliches Thema in Streit geraten!«
»Ach was«, erregte sich Schweinehirt, um augenblicklich wieder in den Flüsterton zu verfallen. »Im Grunde genommen interessieren mich die Studien des Doktor Faust überhaupt nicht. Er ist nicht gerade gesprächig, kommt früh am Morgen ohne jeden Gruß, kein »Laudetur«, kein »Leck mich am Arsch« und legt einen Fetzen mehrfach beschriebenen Papiers vor mich hin, auf dem drei oder vier Buchtitel verzeichnet sind. Mit den meisten Titeln kann ich dienen. Dann vergräbt er sich bis zum Abendläuten in seine Bücher, macht sich Notizen und verschwindet stumm, wie er gekommen ist. So geht das seit Tagen. Auf meine Frage, ob ich ihm bei der Suche nach etwas Bestimmtem behilflich sein könne, hebt er beide Hände, als hätte ich einen seiner hochtrabenden Gedankengänge gestört. Seither findet keine Konversation zwischen uns statt. Glaubt mir, irgendetwas ist faul an diesem Schwarzkünstler!«
»Er ist eben ein großer Schweiger!«
»Das ist es nicht, was mich skeptisch stimmt.«
»Ihr macht mich neugierig, Wendelin Schweinehirt!«
Der Bibliothekar warf einen prüfenden Blick nach hinten, wo Faust mit gesenktem Kopf und starr wie eine Steinstatue hinter dem Lesepult saß. Dann erwiderte er leise: »Es ist die ungewöhnliche Auswahl an Büchern, die der wissbegierige Doktor trifft, und deren Themen scheinbar in keinem Zusammenhang stehen.« Dabei hielt er Magdalena einen Papierfetzen mit eng beschriebenen Zeilen vors Gesicht. »Das sind die Bücher, mit denen er sich heute beschäftigt! Ich lasse mir eingehen, dass ein Forscher die ›Sphaera Mundi‹ desJohannes de Sacrobosco studiert, ein astronomisches Werk, welches das ptolemäische Weltbild und seine arabischen Kommentatoren zum Inhalt hat. Einem Alchimisten wie Faust mag auch noch durchgehen, wenn er Johannes Angelus’ ›Astrolabium planum‹ studiert, ein Buch, in dem jeder einzelne Grad der Tierkreiszeichen gedeutet wird. Aber warum in aller Welt verschlingt Faust Bücher über Steganographie und Spagyrik wie der Löwe eine Gazelle?«
»Stegano …?«
»Steganographie nennt man die Geheimschreibekunst. Du schreibst zum Beispiel auf Pergament, und ehe du
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