Die Frau des Seiltaenzers
»Fahrt los! Ihr kennt ja den Weg.« Und an Magdalena gewandt: »Ich bringe dich nach Kloster Eberbach. Dort, bei den Zisterziensern, bist du sicher vor den Dominikanern der Inquisition. Abt Nikolaus von Eberbach schuldet mir mehr als nur einen Gefallen.«
»Warum tust du das?«, erkundigte sich Magdalena mit gesenktem Blick, während die Knechte das Pferdegespann auf Trab brachten.
»Warum wohl?«, erwiderte Matthäus Schwarz. »Weil du mich eingenommen hast mit deinem bezaubernden Wesen. Oder anders gesagt …«
»Sprich ruhig aus, was dir auf der Zunge liegt. Du meinst, ich habe dich verhext.«
»In gewissem Sinn hast du sogar recht. Ja, vielleicht auch verhext, aber nicht im Sinne der römischen Kirche oder der Inquisition …«
»Sondern?«
»Nun ja – wie soll ich sagen? – Seit unserer ersten Begegnung gehst du mir nicht mehr aus dem Sinn. Du nimmst all meine Gedanken in Beschlag, dass für andere kaum noch Platz ist. Herrgott, ist das so schwer zu begreifen?«
Das hilflose Gestammel des Gesandten, das einem Mann seines Standes in keiner Weise angemessen war, verfehlte seine Wirkung nicht.
»Ach so ist das«, antwortete Magdalena, als hätte sie nicht längstbegriffen, was er sagen wollte. Dann fielen beide in längeres Schweigen.
Auch Magdalena war verunsichert, wusste nicht so recht, wie sie der Situation begegnen sollte. Ohne Frage schmeichelten ihr Schwarzens Worte; aber die Ereignisse der vergangenen Tage verdrängten jeden Gedanken an einen anderen Mann. Schließlich brach es aus ihr heraus: »Der Große Rudolfo, mit dem ich, wenn auch für kurze Zeit, das Bett teilte, ist noch nicht unter der Erde, da gestehst du mir deine Leidenschaft. Ich finde, das ist nicht gerade der ideale Zeitpunkt für ein solches Geständnis.«
Schwarz hob beschwichtigend beide Hände: »Da magst du recht haben. Aber du hast nach den Motiven meines Handelns gefragt. Wie anders sollte ich antworten? Es ist die Wahrheit!«
Am Brückentor kreuzten die Wächter ihre Hellebarden und verwehrten dem Wagen die Fahrt über den Fluss. Einer der Anführer, ein Bulle von einem Mann, mit zotteligen langen Haaren, beschied den Kutschern, vor Tagesanbruch gebe es keine Erlaubnis, die Brücke zu überqueren, es sei denn, sie könnten einen Passierschein vorweisen.
Da schob Matthäus Schwarz die Plane des Wagens zur Seite und streckte dem Anführer die geballte Faust entgegen. Mit süffisantem Grinsen nahm der zwei Münzen in Empfang und gab seinen Leuten Befehl, ihre Waffen zu senken.
»Du glaubst, mit deinem Geld erreichst du jedes Ziel!«, bemerkte Magdalena mit bitterem Unterton in der Stimme.
»Nicht jedes«, erwiderte Schwarz, »aber die allermeisten. Glaube mir, Geld ist weder gut noch böse. Es kommt nur darauf an, wozu man es einsetzt.«
Das klang einleuchtend, und Magdalena ärgerte sich über sich selbst, dass sie den Fuggerschen Abgesandten so von oben herab behandelte, obwohl er es vermutlich gut mit ihr meinte. Seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte sich Matthäus Schwarz stets zuvorkommend verhalten, nie anzüglich oder herausfordernd. Und dass er, der für gewöhnlich scharfsinnig und weltgewandt plauderte,ins Stottern geriet, als er ihr seine Zuneigung gestand, machte ihn eher sympathisch.
Aber Matthäus musste begreifen, dass sie viel Zeit brauchte, bis sie Rudolfos Tod überwunden haben würde. Rudolfo war ihr erster Mann gewesen, und im Augenblick konnte sie sich ein Leben ohne ihn schwer vorstellen. Rudolfo hatte ihr Leben verändert, er hatte ihr ein Selbstvertrauen verliehen, das sie bis dahin nicht kannte. Dafür hatte sie ihn geliebt. Auch wenn sie unsicher war, ob das Gefühl, das sie ihm entgegenbrachte, Liebe war oder eine verwerfliche Form von Dankbarkeit.
»Ich wollte dir mit meinen Gefühlen nicht zu nahe treten«, bemerkte Matthäus, den Blick über die Schultern der Kutscher nach vorne gerichtet.
»Schon gut«, erwiderte Magdalena, »mach dir deshalb keine Gedanken.« Aber noch während sie redete, tat es ihr leid, erneut den falschen Ton getroffen zu haben. Magdalena war völlig durcheinander.
Der Tag graute, die Sonne trat hervor, und der dampfende Morgentau kündigte einen leuchtenden Sommertag an. Aus den Schornsteinen der Dörfer entlang des Rheins stieg der Küchenrauch senkrecht gen Himmel. Hier und da wurde das Vieh auf die Weiden getrieben, und in den Weinbergen auf den sonnwärts gelegenen Hügeln erwachte das Leben. Winzer schnitten ihre Reben, und auf den
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