Die Frau des Seiltaenzers
den Klosterschwestern wurde.
Wie befangen, scheu und gehemmt hätte Magdalena in diesem Augenblick sein müssen, da sie sich dem Seiltänzer darbot wie ein wohlfeiles Schauobjekt in der Menagerie. Doch nichts von alledem stellte sich ein, weder Scham noch Schüchternheit, schon gar keine Furcht vor dem Unbekannten.
Während sie an der Halskordel ihres Unterkleides nestelte, musterte sie Rudolfo wohlgefällig, nicht anders als eine lüsterne Metze im Badehaus. »Hat sie dich verführt?«, meinte Magdalena fragend und ohne Zusammenhang.
»Du meinst Xeranthe?«
»Ja. Wen sonst?«
»Sagen wir so: Sie hat es mehr als einmal versucht.«
»Und? So rede schon!«
Der Seiltänzer schüttelte den Kopf, und Magdalena überkamen Zweifel, ob seine Andeutung der Wahrheit entsprach.
»Würdest du mich verachten, wenn es anders wäre?«, erkundigte sich Rudolfo beinahe schüchtern.
»Keineswegs!«, erwiderte Magdalena frei heraus. »Ich wollte es nur wissen.«
»Dann weißt du es jetzt«, sagte Rudolfo irgendwie ungehalten. »Nein, ich habe nicht mit ihr geschlafen.«
»Und tut es dir nicht leid? Ich meine, Xeranthe war ein aufregendes Frauenzimmer.«
»Nein, es tut mir nicht leid.«
Als wollte sie Rudolfos Standhaftigkeit auf die Probe stellen, ließ Magdalena ihr Unterkleid fallen und bot sich dem Seiltänzer in ihrer Nacktheit dar.
Er berührte sie vorsichtig wie eine zerbrechliche Statue, wobei Magdalena den Kopf in den Nacken warf. Als er schwer atmend begann, seine Rechte zwischen ihre Beine zu schieben und mit der Linken ihre feste Brust zu kneten, stieß sie ihn abweisend zurück: »Denke daran, du bist einer der Neun Unsichtbaren! Eben hast du noch von der Abhängigkeit gesprochen, welche die Fleischeslust mit sich bringt.«
Magdalena spürte plötzlich, wie ein seltsames Gefühl von Macht in ihr aufkam. Das Bewusstsein, über einen Mann wie Rudolfo Macht auszuüben, der ihr in allem überlegen war, machte sie hochmütig, eine Eigenschaft, die sie bis dahin nicht gekannt hatte.
Obwohl ihr eigener Körper nach ihm verlangte, obwohl ihre Sinne seit Tagen verrückt spielten, wenn sie daran dachte, sich ihm hinzugeben, gab sie sich den Anschein, als wollte sie den allerletzten Liebesbeweis hinauszögern, als sei dieser für sie nur von geringer Bedeutung.
»Mit wie vielen Frauen teiltest du schon das Bett in deinem Leben?«, fragte Magdalena herausfordernd.
Rudolfo schluckte. Der Große Rudolfo wurde scheinbar kleiner und kleiner. Beinahe demutsvoll antwortete er: »Auch wenn du mir nicht glauben wirst, ich habe mich bisher an den Codex der Neun Unsichtbaren gehalten und noch mit keiner einzigen Frau geschlafen.«
Magdalena sah den Seiltänzer zweifelnd an. Der größte Seiltänzer der Welt, den die Frauen umschwärmten, wo immer er auftrat, sollte noch nie…
»Du kannst mir glauben!«, unterbrach Rudolfo ihre Gedanken, »wir sind also beide noch im Zustand unberührter Jungfräulichkeit. Vorausgesetzt…«
»Ein Nonnenkloster ohne jedes männliche Wesen«, fiel ihm Magdalena ins Wort, »ist wenig geeignet, die Unschuld zu verlieren.«
Die seltsame Stimmung aus Belustigung und körperlicher Begierde drohte ins Belanglose umzuschlagen. Deshalb sagte Magdalena: »Soll ich dich nun anflehen, mich zu nehmen?«
Die Worte wirkten wie ein aufpeitschender Liebestrank. Wie von Sinnen riss sich Rudolfo die Kleider vom Leib, drängte Magdalena durch den schmalen Durchlass in das Schlafgemach und zog sie auf das weiche Fell seiner Lagerstatt. Ihr Herz hämmerte heftig. Der gespielte Hochmut verflog augenblicklich und verwandelte sich in Furcht, Furcht vor dem, was sie erwartete.
In Wahrheit war alles anders, als sie es sich vorgestellt hatte: Die Zärtlichkeit seines Mundes und seiner Hände, mit denen er ihren Leib eroberte, brachte Magdalena zum Schweben. Sie tauchte ein in eine fremde Welt, in der Träume und Wirklichkeit verschmelzen. Als Rudolfo sanft in sie eindrang, als sie fühlte, was sie noch nie empfunden hatte, da hatte Magdalena das Bedürfnis, laut zu schreien, nicht vor Schmerz, sondern vor Lust. Doch Magdalena blieb stumm, beinahe andächtig wie beim Graduale im Kloster Seligenpforten.
Nach dem Ende ihrer Zweisamkeit – keiner von beiden vermochte zu sagen, wie lange sie sich der Fleischeslust hingegeben hatten – setzte sich Magdalena auf. Sie war es auch, die zuerst die Sprache wieder fand und an Rudolfo die Frage richtete: »Bist du glücklich?«
Der Seiltänzer fuhr sanft über ihre Wange und
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