Die Frau des Seiltaenzers
grasten die ausgeschirrten Pferde. Um den Gauklerwagen herum lagen Kleidungsstücke verstreut, Rudolfos Kleider. Vom Seiltänzer keine Spur.
Während Meister Kajetan und sein Geselle begannen, ihren Karren zu entladen, schlich Magdalena ängstlich um Rudolfos liegen gebliebenen Gauklerwagen. Plötzlich, auf der Rückseite, hielt sie inne und presste die Hand vor den Mund. Zu ihren Füßen lag – zur Seite gekrümmt, beinahe wäre sie über ihn gestolpert – Rudolfo, nackt, wie tot.
Magdalena stürzte auf die Knie, drehte Rudolfo auf den Rücken und legte ihr Ohr auf seine Brust. Sie glaubte, seinen Herzschlag zu vernehmen. Sicher war sie nicht. Nur die Lider seinergeschlossenen Augen gaben ein Lebenszeichen von sich. Sie zuckten in unregelmäßigen Abständen, als würde er mit einer Nadel gequält.
»Rudolfo!«, rief Magdalena, seinen Kopf in beide Hände nehmend und küssend, »Rudolfo, was ist geschehen?«
Als der Seiltänzer nicht reagierte, erhob sie sich, rannte zu Kajetans Karren und riss dem verblüfften Meister die Trinkflasche aus den Händen, an der er sich gerade gütlich tat. Den restlichen Inhalt goss sie über Rudolfos Gesicht. Da schlug der Seiltänzer die Augen auf.
Bange Augenblicke vergingen, bis Rudolfo Magdalena erkannte. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr sich mit der Rechten über die Stirn.
»Mein Kopf!«, jammerte er ein ums andere Mal.
»Was ist geschehen?«, wiederholte Magdalena ihre Frage.
»Ich dachte schon, ich würde sterben«, stammelte Rudolfo in einem Anflug von Galgenhumor. »Der eine hat versucht, mir mit einer Keule den Schädel einzuschlagen. Einmal, zweimal krachte die Keule auf meinen Kopf, dann verließen mich die Sinne.« Verwundert blickte Rudolfo an sich herab. Erst jetzt bemerkte er, dass er nackt war. »Wo sind meine Kleider?«, fragte er mit Entsetzen.
»Die liegen um den Wagen herum verstreut! Hast du dafür eine Erklärung?«
Als Rudolfo nicht antwortete, erhob sie sich und begann die Beinkleider, Hemden, Strümpfe und das Wams des Seiltänzers einzusammeln. »Merkwürdig«, meinte sie bei ihrer Rückkehr, »erst ziehen dir die Gauner deine Kleider aus, und dann lassen sie sie liegen.«
Der Seiltänzer war tief in Gedanken versunken, und Magdalena wollte ihn nicht weiter bedrängen. Besorgt nahm sie seinen Körper von Kopf bis Fuß in Augenschein. Zum Glück war er ohne sichtbare Verletzungen davongekommen.
Da blieb ihr Blick an seiner Leistenbeuge haften. An der Stelle, wo der rechte Oberschenkel in den Rumpf übergeht, nahe seiner Männlichkeit, war eine dunkle Tätowierung zu erkennen, neunBuchstaben in Dreierreihe: HIC IAC COD. Darunter wand sich eine dreischwänzige Schlange.
Spontan wollte Magdalena nach der Bedeutung der seltsamen Tätowierung fragen, aber dann schluckte sie ihre Frage hinunter, in der Absicht, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Stattdessen half sie Rudolfo auf die Beine, der daraufhin noch etwas benommen begann, sich anzukleiden.
Der Stellmacher und sein Geselle bekamen von Rudolfos Schicksal kaum etwas mit, so eifrig waren sie mit der Achsreparatur beschäftigt. Mit Hilfe eines Hebebalkens bockten sie das Wagenheck auf und tauschten die gebrochene Hinterachse, ein Eisengestänge, das von einem robusten, mit Eisenbändern beschlagenen Querbalken gehalten wurde, gegen eine neue Konstruktion aus. Ihre schweißtreibende Arbeit verrichteten sie so gewandt, dass sie noch vor Einbruch der Dämmerung fertig wurden und nach Entrichtung eines weiteren Rheinischen Guldens ohne Aufsehen verschwanden.
Magdalena war überzeugt, dass Wegelagerer, die zuhauf durch das Land strichen, hinter dem Überfall steckten. Besorgt ging sie daran, das Durcheinander im Gauklerwagen zu ordnen. Überall auf dem Boden verstreut lagen Bücher und kostbare Kleidungsstücke herum, von denen der Seiltänzer nicht wenige besaß. Nach kurzer Überprüfung stellte Rudolfo fest, dass nichts, nicht das Geringste fehlte.
Gemeinsam spannten sie die Pferde ein, als der Marktschreier Constantin und zwei Fuhrknechte eintrafen, um nach dem Rechten zu sehen. Constantin Forchenborn zeigte sich bestürzt, als er erfuhr, was dem Seiltänzer widerfahren war. Zudem brachte er schlechte Nachricht. Seine Verhandlungen über eine Auftrittserlaubnis waren von den Aschaffenburger Stadtoberen abschlägig beschieden worden.
Rudolfos Verhältnis zu Forchenborn war ohnehin nicht das Beste, weil der Seiltänzer seit geraumer Zeit meinte, der Marktschreier
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