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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Lippen kommen, was die Schätze der Menschheit betrifft. Neugierig wäre ich allerdings schon, zu erfahren, wo die neun geheimnisvollen Bücher aufbewahrt werden. Doch nicht etwa hier, in deinem Gauklerwagen?«
    Da musste der Große Rudolfo herzlich lachen, weil Magdalena neugierig wie ein kleines Mädchen auf ihn einredete. »Ich habe dir das alles nur deshalb verraten, weil ich sicher bin, dass du mich nicht ausforschen willst, um an die Bücher heranzukommen. Weder für dich noch für irgendeinen verborgenen Auftraggeber im Hintergrund. Aber glaube mir, nichts ist schwerer zu ertragen als ein Geheimnis. Der Mensch neigt nun einmal mehr zum Reden als zum Schweigen.«
    Als wollte sie die Worte des Seiltänzers Lügen strafen, blieb Magdalena eine ganze Weile stumm. Nicht dass es ihr an Bemerkungen mangelte, vielmehr hoffte sie, er würde ihr endlich sein Geheimnis preisgeben. Denn was Rudolfo ihr bisher erzählt hatte, machte sie nur noch neugieriger.
    In ihrer Ratlosigkeit trat sie auf ihn zu und legte ihre Arme um seinen Hals. »Ich kann mir denken, von wem du glaubtest, ausgeforscht zu werden.« Und als Rudolfo weiter schwieg, sagte Magdalena: »Xeranthe. Habe ich recht?«
    »Sie wollte mehr wissen«, brach es aus ihm heraus. »Xeranthe versuchte immer wieder, mich auszuforschen. Aus diesem Grund heuchelte sie heftige, bisweilen lästige Zuneigung.«
    »Hast du ihr nicht klar gemacht, dass du nicht beabsichtigtest, ihre gespielten Gefühle zu erwidern?«
    »Mehr als einmal, das kannst du mir glauben. Ich vermute, sie hatte Hintermänner, die sie auf mich angesetzt haben.«
    »Wer sollte das sein?«
    Rudolfo hob die Schultern.
    »Jetzt ist mir auch klar, warum Xeranthe mich von Anfang an als Feindin betrachtete«, sagte Magdalena nachdenklich. »Hast du denn ihr gegenüber jemals die ›Bücher der Weisheit‹ oder das Geheimnis der Neun Unsichtbaren erwähnt?«
    »Nein, nie! Das ist es ja, was mich verunsichert. Entweder sie selbst oder ein dubioser Hintermann schienen von dem Geheimnis zu wissen, ohne Einzelheiten zu kennen.«
    »Du musst dich durch irgendetwas verraten haben. Versuche dich zu erinnern!« Sie hatte noch immer die Arme um Rudolfos Hals geschlungen.
    Der Seiltänzer lachte gequält: »Oft habe ich mir deshalb mein Gehirn zermartert, vergeblich.«
    »Und hast du jemals Xeranthe zur Rechenschaft gezogen?«
    »Das schien mir nicht ratsam. Schließlich war ich mir nicht sicher, ob ich mir das alles nur einbildete. In diesem Fall hätte ich mich wirklich verraten.«
    Von draußen hörte man übermütige Gesänge. Mit vollem Magen um das Feuer geschart, sangen die Fuhrknechte. Das war ihre Art, sich zu vergnügen.
    »Pst!« Magdalena legte den Finger auf die Lippen.
    Rudolfo, an die rauen Kehlen der Fuhrleute gewöhnt, sah Magdalena an: »Hörst du, was sie singen?«
    … Ein Nönnchen aus dem Frankenlande
    Knüpft mit Rudolfo zarte Bande
    Heideldeidel dumderadei
    Heideldeidel dumderadei
    Xeranthe kehrt nicht wieder
    Nun singt das Nönnchen ihre Lieder
    Heideldeidel dumderadei
    Heideldeidel dumderadei
    Nur mit Mühe und mit eindringlichen Worten gelang es dem Seiltänzer, Magdalena zu beschwichtigen. Sie bedachte die Fuhrknechte mit schändlichen Namen wie ungehobelte Tölpel und ekelhafte Rabauken, und erst als Rudolfo die ironische Frage stellte, ob man solcherlei Beschimpfungen im Kloster lerne, fand Magdalena ein Ende.
    »Sie meinen es nicht böse«, fügte Rudolfo hinzu, »es ist eher ein harmloser Zeitvertreib und soll gewiss keine Zwietracht schüren. Amallerwenigsten würden sie es wagen, mich, den Großen Rudolfo, in dessen Diensten sie stehen, zu verunglimpfen. Deshalb wäre es auch verkehrt, sie zurechtzuweisen.«
    In der Tat folgten noch zwei weitere Gesänge, die den Kampf der Bauern gegen die Bündischen und das Leid, das sie über das Volk gebracht hatten, beinhalteten und allesamt mit einem zweifachen »Heideldeidel dumderadei« endeten; dann wurde es still.
    Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, begann Magdalena sich zu entkleiden. Es war merkwürdig. Im Kloster Seligenpforten war es üblich, sich nur bei völliger Dunkelheit auszuziehen und nur bis auf das lange weiße Unterkleid, das auch bei Nacht getragen wurde. Keine Nonne durfte, wenn zur Sommerzeit matter Dämmerschein oder der Vollmond durch die kleinen Fenster lugten, den Blick auf eine andere Nonne richten. Das galt als sündhaft, wobei allein das Verbot den Reiz erhöhte und zum Ursprung mancher Begierde unter

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