Die Frau des Seiltaenzers
gab eine eigentümliche Antwort: »Ich weiß es nicht. Was ist schon Glück? Eineangenehme Empfindung? Ein Augenblick? Wie schnell ist ein Augenblick vorbei! Dann hat sich das, was du eben noch als Glückseligkeit empfunden hast, verflüchtigt, und du machst dich auf die Suche nach neuem Glück.«
Magdalena dachte nach. »Hat deine Antwort mit dem Codex der Neun Unsichtbaren zu tun?«
Als der Seiltänzer keine Antwort gab, zog Magdalena es vor, ihn nicht weiter zu bedrängen.
Die schwüle Nacht, welche Rudolfo und Magdalena ineinander verschlungen auf dem weichen Fell verbrachten, verging wie im Flug und ohne weiteres Reden. Um die Matutine – Magdalena lebte noch immer nach den Zeitangaben im Kloster –, also noch zu nachtschlafender Zeit, brachen die Gaukler auf und folgten dem Flusslauf weiter in nördlicher Richtung. Wenn die Hitze des Tages es zuließ, hofften sie gegen Mittag ihr Ziel, das kurmainzische Aschaffenburg, zu erreichen, eine weltoffene Stadt, die den Mainzer Kurfürsten als zweite Residenz diente.
Die Hälfte des Weges legten Magdalena und Rudolfo in dessen Gauklerwagen zurück. Dabei machte sich zwischen den beiden eine gewisse Verlegenheit breit, als genierten sie sich voreinander. Zwar warfen sie sich bisweilen verliebte Blicke zu, aber zu einer Unterhaltung, die nach den Ereignissen der vergangenen Nacht angebracht gewesen wäre, kam es nicht.
Vor einer Steigung ließ der Kutscher auf seinem Bock die Peitsche knallen, worauf die Pferde den Hügel hinangaloppierten, dass der Gauklerwagen durchgeschüttelt wurde, als hätte der Teufel die Hand im Spiel. Auch als Rudolfo mit der Faust gegen die Stirnwand schlug, um dem Kutscher ein Zeichen zu geben, die Fahrt zu verlangsamen, behielt dieser die Geschwindigkeit bei.
Ein durchdringender Schlag, ein Krachen und Bersten. Der Wagen sackte nach hinten ab, dass Magdalena gegen die Rückwand geschleudert wurde. Mit lautem »Brrrr« brachte der Fuhrknecht das havarierte Gefährt zum Stehen.
Benommen kletterten der Seiltänzer und Magdalena aus dem Gauklerwagen.
»Die Achse«, knurrte der Kutscher, »die Hinterachse ist gebrochen!«
Rudolfo, eher ein Ausbund an Selbstbeherrschung, wollte auf den Fuhrknecht losgehen. Aber Magdalena hielt ihn zurück: »Es war doch nicht seine Absicht! Früher oder später wäre es auch so passiert.«
Nachdem Rudolfo das Missgeschick begutachtet hatte, traf er die Entscheidung, Magdalena solle mit den übrigen Gauklern und den Fuhrknechten nach Aschaffenburg fahren und einen Stellmacher ausfindig machen, der den Schaden zumindest provisorisch beheben und das defekte Gefährt zur Reparatur in seine Werkstatt bringen könne. Er selbst wolle mit den Pferden am Wagenwrack zurückbleiben.
Magdalenas Einwand, er könne sein havariertes Fahrzeug zurücklassen, weil der Achsbruch es ohnehin vor Dieben bewahrte, tat Rudolfo mit einer unwilligen Handbewegung und dem Hinweis ab, es gehe ihm nicht um den Gauklerwagen an sich, sondern um sein Inventar. Das schien einleuchtend und gerechtfertigt, und Magdalena setzte umgehend den Weg mit den Gauklern fort.
In glühender Mittagshitze erreichten sie die Mauern der kurmainzischen Stadt. Schon von Weitem hatten sie dunkle Rauchwolken erblickt und geschlagene Bauernhorden, die außerhalb des Weichbildes kampierten. Die zerlumpten, heruntergekommenen Gestalten schenkten den Gauklern wenig Beachtung. Nur ein paar wenige machten sich im Vorbeifahren durch Rufen oder deutliche Handbewegungen bemerkbar, denen man entnehmen konnte, dass sie verletzt waren oder Durst und Hunger litten.
Als Magdalena ihrem Fuhrknecht ein Zeichen gab anzuhalten, preschte der Marktschreier herbei und forderte sie auf, unverzüglich den Weg fortzusetzen, denn wenn die Landsknechte erst einmal Wind davon bekämen, dass sie noch über – wenn auch nurgeringe – Vorräte verfügten, dann würden sie über die Gaukler herfallen. Das leuchtete ihr ein.
Auf einem freien Flecken in Sichtweite der Mainbrücke machten sie schließlich halt. Die Fuhrknechte deichselten die Wagen und Karren zu einem quadratischen Pferch, der nach außen einen gewissen Schutz bot.
Vom Marktschreier forderte Magdalena ein paar Gulden zurück, und umgehend machte sie sich auf die Suche nach einem Stellmacher.
In ihrem vornehmen blauen Kleid und der neuen weißen Haube erweckte Magdalena den Eindruck einer wohlhabenden Bürgersfrau. Die bewaffneten Soldaten am Brückentor salutierten und neigten höflich die Köpfe, als sie sich
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