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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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ebenso höflich erkundigte, wo ein Stellmacher zu finden sei, der einen Achsbruch reparieren könne, nur ein paar Meilen von hier, doch sei es dringend.
    Da traf es sich gut, dass Kajetan Mirfeld, gerade mal einen Steinwurf entfernt, an der Stadtmauer die größte Wagnerei von Aschaffenburg betrieb, mit einem Dutzend Gesellen und noch einmal so vielen Knechten.
    Mirfeld, ein drahtiger Fünfziger, dessen kantigen Schädel eine dichte, dunkle, bis auf die Schultern reichende Haarpracht zierte, zeigte zunächst wenig Interesse, den havarierten Gauklerwagen wieder flott zu machen. Auch Magdalenas Hinweis, es handle sich um den Wagen des Großen Rudolfo, der auf einem Seil die höchsten Türme der Welt besteige, vermochte ihn nicht umzustimmen.
    »So, so, ein Gauklerwagen«, bemerkte er ein wenig spöttisch und grinste Magdalena ins Gesicht. Doch als sie einen blinkenden Rheinischen Gulden hervorzog und auf die Werkbank legte, veränderte sich seine Miene.
    »Als Anzahlung«, bemerkte Magdalena trocken. Das blieb nicht ohne Wirkung.
    Meister Kajetan rief dem nächstbesten Gesellen zu, er möge einen Karren anspannen und Werkzeug und Material aufladen, das zur Behebung eines Achsbruchs notwendig sei.
    Zu dritt bestiegen sie wenig später den Kutschbock eines zweirädrigen Karrens: der Stellmacher, sein Geselle und Magdalena. Die Räder des Karrens waren so groß, dass sie Magdalena an Körpergröße überragten, und der quadratische Kasten hinter dem Kutschbock nahm allerlei Gerätschaften auf: Holz und Eisenbänder und Bohrer, wie sie für eine Reparatur notwendig waren. Außerdem hatte der Wagnerkarren zwei Deichseln, zwischen denen ein gutmütiger Gaul dahintrottete.
    Als sie den äußeren Brückenturm passiert hatten, gab der Geselle, der die Zügel führte, dem Pferd die Peitsche, und dazu schnalzte er mit der Zunge, worauf der Gaul zu traben begann, flussaufwärts in die Richtung, die Magdalena beschrieben hatte.
    Nach der stickigen Mittagshitze, die innerhalb der Stadtmauern lag, wirkte der Fahrtwind auf dem Weg entlang des Flusses beinahe erfrischend, jedenfalls angenehm, und Magdalena musste ihre Haube festhalten, damit sie nicht davonflog. Zwar sprießte auf ihrem Schädel bereits ein zarter Haarflaum, doch wäre es ihr peinlich gewesen, wenn die fehlende Kopfbedeckung ihre Vergangenheit enthüllt hätte.
    Aus einer Zinnflasche mit Schraubverschluss nahm Meister Kajetan, dessen unbedeckte Haarpracht wie die einer Meduse im Wind flatterte, einen tiefen Schluck und reichte das Wasser weiter an Magdalena, die das Angebot dankend annahm. Für gewöhnlich kein Freund großer Worte, ließ sich Kajetan Mirfeld sogar zu einem Gespräch hinreißen, das in der Frage gipfelte: »Was treibt eine Gauklertruppe in diesen Tagen gerade nach Aschaffenburg?«
    Da lachte Magdalena, mit der einen Hand ihre Haube umklammernd, die andere vor den Mund haltend, damit sie keine der unzähligen Mücken im Fahrtwind verschluckte, und sie antwortete: »Was spricht dagegen, Meister Kajetan? Wir sind auf dem Weg nach Mainz. Euer Städtchen liegt also direkt auf dem Weg. Ich hoffe, Euch sind Gaukler, die etwas Abwechslung ins Leben bringen, willkommen.«
    »Schon, schon«, bemerkte der Meister, den Blick nach vorne gerichtet, »Ihr habt nur einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt gewählt. Vor wenigen Tagen hat Seine Exzellenz, der hochwürdigste Herr Fürsterzbischof von Mainz, unsere Stadt aller Privilegien beraubt – wegen unserer Beteiligung an den Bauernkriegen. Wisst Ihr, was das bedeutet?«
    »Keine Ahnung!« Magdalena sah Mirfeld von der Seite an.
    »Das bedeutet: Keine Steuern für den Stadtsäckel, der Verlust aller Latifundien und Weinberge, sogar der Brückenzoll geht an den hohen Herrn nach Mainz. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass den Bürgern von Aschaffenburg in dieser Situation nach Mummenschanz zumute ist.«
    Die Nachricht traf Magdalena wie ein Keulenschlag. Es schien, als habe sich der Teufel gegen die Gaukler verschworen. Betroffen, ratlos und den Tränen nahe, schaute sie nach vorne, wo der Anstieg in Sicht kam, der Rudolfos Wagen zum Verhängnis geworden war. Von Weitem schon erkannte sie das havarierte Gefährt, da tauchten plötzlich, wie aus dem Boden geschossen, zwei vermummte Reiter auf, die an ihnen vorbeipreschten, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Ihre Furcht vor einem Überfall wich rasch einer düsteren Ahnung, die stärker wurde, je näher sie Rudolfos Gauklerwagen kamen. In einiger Entfernung

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