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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Empfang und biss mit den Vorderzähnen darauf, dass Magdalena befürchtete, er wolle die wertvolle Münze verspeisen. Aber dann legte er sie auf die Waagschale einer Balkenwaage und beschwerte die andere Schale mit kleinen Gewichten. Als der Wiegebalken sich waagerecht einpendelte, knurrte der Jude zufrieden: »Ich gebe Euch 22 Rheinische Gulden.« Und als ihn Magdalena, ohne sich etwas dabei zu denken, von der Seite ansah, fügte der Geldwechsler hinzu: »Gut, sagen wir 23!«
    Magdalena bezahlte die beiden Kleider und erhielt obendrein eine neue Haube. Stolz und glücklich kehrte sie zu den Gauklern zurück, die vor der Stadt kampierten.
    Der Zwergenkönigin fielen sofort die neuen Gewänder ins Auge. Auf ihre vorsichtige Frage, wie sie in den Besitz so kostbarer Sachen gelangt sei und welchen Preis sie dafür bezahlt habe, erwiderte Magdalena wahrheitsgemäß: »Gekauft habe ich sie beim Obernburger Kleiderhändler, und bezahlt habe ich sie mit einem Golddukaten, und hier ist das Wechselgeld!«
    Mit einem Griff in ihre Rocktasche zog sie 21 Rheinische Gulden hervor und warf sie auf den Strohballen, der den Gauklern als Tisch diente.
    Dem Riesen Leonhard blieb der Mund offen stehen. Verständnislos schüttelte der Quacksalber den Kopf, und Jadwiga, die polnische Schlangenfrau, warf Magdalena einen funkenschlagenden Blick zu. Benjamino, der Jongleur und Küchenmeister, fand als Erster die Sprache wieder und sagte: »Habe ich das richtigverstanden, du hast, seit du bei uns bist, immer einen Golddukaten mit dir herumgetragen?«
    Schließlich mischte sich der Marktschreier Constantin Forchenborn ein: »Und dabei hast du schweigend zugesehen, wie wir uns Sorgen machen, ob wir morgen noch genug zu Essen haben?«
    Die Fuhrknechte, die das Wortgefecht aus der Ferne verfolgt hatten, kamen näher und bezichtigten Magdalena, sie sei selbstsüchtig und habgierig, und der Marktschreier meinte, seit sie zur Truppe gestoßen sei, habe sich alles zum Schlechten gewendet.
    Da trat Rudolfo, angelockt durch das aufgeregte Geschrei, hinzu. Seine Autorität hatte seit Magdalenas Erscheinen gelitten, doch reichte sie noch immer, um die Gaukler augenblicklich verstummen zu lassen. Gefragt nach der Ursache des Zwiespalts, zeigte der Marktschreier auf die 21 Gulden und warf Magdalena einen verächtlichen Blick zu wie einer Diebin.
    Als Rudolfo die neuen Kleider sah, die Magdalena wie eine Trophäe in den Armen hielt, wurde ihm die Ursache des Konflikts sofort klar.
    »Sie trug ein Vermögen mit sich herum«, bemerkte der Quacksalber und zeigte mit dem Daumen auf Magdalena. »Dabei ließ sie uns alle in dem Glauben, wir hätten keinen Pfennig mehr, während sie selbst sich neue Gewänder kaufte, und nicht gerade die billigsten!«
    »Hast du bei uns jemals Hunger gelitten?«, fragte Rudolfo und fixierte den Quacksalber mit zornigen Augen.
    »Nein, Großer Rudolfo«, erwiderte der Quacksalber.
    »Warum beklagst du dich dann über Dinge, die sich hätten ereignen können, vielleicht aber auch nicht.«
    Verlegen hob der Quacksalber die Schultern.
    »Und wie viele Gewänder nennst du dein Eigen?«, fuhr der Seiltänzer fragend fort.
    »Nun ja«, der Quacksalber geriet ins Stocken, »es sind deren drei. Und wenn ich meinen Arbeitskittel dazuzähle, vier.«
    »Also vier. Und du, Magdalena? Über wie viele Gewänder verfügst du bis zum heutigen Tag?«
    »Nur über dieses, das ich am Leibe trage. Bis heute.«
    Rudolfo ließ den Blick über die herumstehenden Gaukler schweifen, ob auch der letzte begriff, worauf er hinauswollte. »Und wie viel«, fuhr er fort und sah den Quacksalber an, »hast du den Gauklern gespendet, als du zu uns gestoßen bist?«
    »Nichts«, antwortete der Gescholtene kleinlaut.
    »Siehst du, Magdalena hilft uns mit 21 Rheinischen Gulden aus. Genug Geld, um dich, mich und alle anderen gut zwei Monate über Wasser zu halten. Und da willst du ihr zum Vorwurf machen, dass sie sich von ihrer Mitgift zwei Kleider gekauft hat?«
    Die Worte des Seiltänzers fanden allgemeine Zustimmung. Gleich darauf spannten die Fuhrknechte an, und Benjamino fuhr mit dem großen Vorratskarren nach Obernburg, um Brot und Mehl, trockene Bohnen und Graupen, Gemüse, gedörrte Mainfische und ein Fässchen Wein einzukaufen, gerade so viel, dass es bis Aschaffenburg reichte – vielleicht auch noch ein paar Meilen weiter flussabwärts.
    Während der Sonnenball blutrot hinter den Baumwipfeln verschwand, entfachten die Fuhrknechte inmitten des Gauklerlagers

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