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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Sklavinnen und Sklaven seines Palastes umbringen. Von da an ließ er sich jede Nacht eine Jungfrau bringen, nahm sie und ließ sie vor Sonnenaufgang töten. So wollte er in seinem Wahn sicherstellen, dass eine Frau, die er angefasst hatte, ihn nicht betrügen konnte. Im Land herrschten Angst und Sorge. Viele Eltern flüchteten mit ihren Töchtern, um sie vor der blutigen Hand des Königs zu retten. Schahrayar aber war wie getrieben. Eines Tages sagte Scheherasad zu ihrem Vater, einem Wesir des Königs: »Vater, ich will mich diesem König stellen, entweder ich sterbe, oder ich werde dazu beitragen, dass die Frauen meines Landes aus seinen Händen befreit werden.«
    Der Wesir hatte zwei Töchter; Scheherasad war zwanzig Jahre alt und Dinasad etwa sechzehn. Seine Ältere hatte, wie berichtet wird, viele Bücher über frühere Könige und vergangene Völker gelesen; ja, es heißt sogar, dass ihre eigene Bibliothek mehr als tausend Bücher umfasste.
    Scheherasad, im Radio von einer Frau mit warmer Stimme gesprochen, erzählte die Geschichte des unglücklichen Kaufmanns, der auf Reisen war und bei einer Rast Brot und Datteln aß, und als er die Datteln aufgegessen hatte, warf er die Steine fort. Ohne es zu wissen, hatte er den unsichtbaren Sohn eines Dämons tödlich getroffen, und dieser wollte ihn dafür töten. Die Geschichte nahm kein Ende, und als sie den spannendsten Punkt erreichte, unterbrach sich Scheherasad und fing an zu gähnen.
    »Nun, wie geht die Geschichte weiter?«, fragte König Schahrayar nach einer kurzen Weile. »Lass mich, o mächtiger König, noch einen Tag leben, dann erzähle ich dir die Geschichte zu Ende und du kannst mich dann umbringen«, erwiderte Scheherasad. Da sprach der König: »Bei Allah, ich will dich nicht töten, bis ich den Schluss deiner Geschichte gehört habe.«
    An dieser Stelle endete die Sendung mit der gleichen Musik, mit der sie auch begonnen hatte. Es war kurz vor zwölf. Ich eilte ins Bett, doch ich konnte lange nicht einschlafen. Ich überlegte, was Scheherasad erzählen müsste, um am Leben zu bleiben. Wirre Gedanken verhinderten meinen Schlaf und ich flüsterte immer wieder: »Erzähl, Scheherasad, erzähl! Bloß nicht aufhören.«
    In meiner kindlichen Vorstellung wälzte sich Scheherasad in jener Nacht voller Kummer auf ihrem Bett hin und her. Sie stand ja vor dem Tode, und mich beschäftigte damals die Frage des Todes sehr. Am nächsten Morgen kam ich nur schwer aus dem Bett. Meine Brüder lachten über meinen Kummer, und so stritten wir schon beim Frühstück. Sie zogen mich auf. »Schahrayar wird sie heute Nacht abmurksen«, krächzte mein ältester Bruder und handelte sich einen Tadel von meiner Mutter ein, die seine Bemerkung auch nicht gerade lustig fand. In der Schule waren viele Schüler genauso verschlafen wie ich. Auch sie hatten Scheherasad heimlich oder erlaubtermaßen bis spät in der Nacht zugehört. Aber in der Schule gab es genug Stunden, in denen wir uns ausruhen konnten. Schwer fiel mir jedoch der Unterricht am Nachmittag. Ich kämpfte gegen meine Müdigkeit an, und beim Abendessen war ich ungenießbar. Wegen jeder Kleinigkeit stritt ich mit meinen Geschwistern und heulte mit und ohne Grund. Meine Mutter wusste genau, was los war, und empfahl mir, ins Bett zu gehen. Aber ich wollte die Fortsetzung der Geschichte hören! Nach langem Kampf schlossen meine Mutter und ich ein Abkommen: Ich gehe sofort ins Bett, und dafür weckt sie mich Punkt elf Uhr. Ich konnte mich immer auf meine Mutter verlassen. Sie nahm uns Kinder im Gegensatz zu vielen anderen Müttern ernst und regelte alles mit uns, ohne dass mein Vater etwas davon erfuhr. Wenn wir sie manchmal fast zum Wahnsinn trieben, dann schrie sie, schlug und weinte, aber nie machte sie uns vor ihm schlecht, nie! Sie hielt zuverlässig zu meinem Vater, egal ob er sich mit den Nachbarn, mit seinen oder gar ihren Eltern stritt. Nur wenn es um uns Kinder ging, entschied sie sich für uns und gegen ihren Mann.
    Ich ging also beruhigt ins Bett und schlief sofort ein. Plötzlich spürte ich ihre Hand. Sie flüsterte mir zu, dass Scheherasad bald anfange, und ich schlich mich leise ins andere Zimmer. Wir hockten auf dem Teppich vor diesem Prachtstück von Radio, es war ein beachtlicher Kasten mit einem grünen »magischen Auge«, und hörten die zweite Nacht zusammen. Wir erlebten den Zauber der Scheherasad, die die Geschichte erneut gerade dann unterbrach, als sie am spannendsten wurde, und den König und uns

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