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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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als der Mann mit dem kochend heißen Pinsel seinen Hintern erwischte. Der Löwe winselte vor Schmerz und bettelte um Gnade. Eine Ratte hörte ihn, und obwohl sie Katzen nicht ausstehen konnte, erweichte das Elend des Löwen ihr kluges Herz. Unbemerkt schlich sie zum Löwen und zerbiss mit ihren scharfen Zähnen das Seil. ›Wasch schnell deinen Hintern, bevor das Zeug erstarrt‹, fiepte die Ratte und eilte in das Unterholz zurück. Der Löwe bedankte sich und rannte in den Wald. Dort wusch er sich in einem Bach und erholte sich von den Qualen. Bald waren seine Wunden verheilt. Aber er erzählte niemandem die Wahrheit. Er behauptete, die Narben stammten von Kämpfen mit anderen Löwen. Jede Narbe sei eine Erinnerung an einen getöteten Rivalen. Bald war er der mächtige König in einem großen Revier. Er herrschte über Tausende von Tieren.
    Eines Tages erinnerte ihn eine der Narben an den Tischler, und er wollte sich an ihm rächen. Er nahm sich zehn mutige Löwinnen als Begleitung und suchte die Siedlung auf. Dort sah er den Tischler. Als dieser das Löwenrudel erblickte, flüchtete er mit seinem Lehrling auf den Nussbaum.
    Die Löwen gingen um den Baum herum, aber der Stamm war ihnen zu glatt, da rief der kluge Anführer: ›Steigt über mich zum Baum hinauf. Ihr wisst, ich kann leicht zehn Löwen auf meinen starken Schultern tragen. So erreicht ihr die erste Astgabelung, und von da könnt ihr den Verfluchten herunterstoßen, damit ich ihm seine gerechte Strafe verpasse.‹
    Gesagt, getan. Die Löwinnen beeilten sich und sprangen eine nach der anderen auf den Löwen, von da auf den Rücken der zweiten, der dritten und so fort …
    Der Tischler sah die Löwinnen immer näher kommen. Als die siebte Löwin zu klettern begann, rief der Tischler seinem Lehrling zu: ›Schnell, gib mir den heißen Leimpinsel!‹ Der Rudelführer, unser vernarbter Löwe, hörte das Wort ›Leimpinsel‹ und fühlte die Verbrennungen auf seiner Haut. Laut brüllend warf er die Löwinnen ab und rannte davon. Die Löwinnen stürzten alle übereinander und folgten ihrem Anführer panisch in den Wald. Als der Löwe schließlich stehen blieb, um Atem zu schöpfen, versammelte sich seine zornig gewordene Gefolgschaft um ihn. Eine alte erfahrene Löwin fragte den Löwen, was in ihn gefahren sei, dass er beim harmlosen Wort ›Leimpinsel‹ wie ein Hase davonlaufe. Der Löwe schüttelte seine Mähne. ›Wer den Pinsel nicht gespürt hat, der weiß nichts vom Geschehen‹, sagte er.«
     
    Ich erinnere mich noch heute genau an diesen traurigen Augenblick, als ich aus meinen Gedanken an den armen Löwen wieder auftauchte und in den Spiegel sah. Ein hässlicher Junge starrte mir entgegen. So einen misslungenen Haarschnitt hatte ich später nie wieder. Nichts hatte gestimmt, nicht einmal die Form und die Länge der Koteletten. Von den drei Verletzungen am Ohr, an der Wange und am Hals ganz zu schweigen, die der Friseur mir vor lauter Lachen zugefügt hatte. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass der Haarschnitt schief und krumm war, gab er sich überrascht, kramte umständlich in der Schublade nach seiner Brille, setzte sie auf und sagte nur: »Oh!«
    Dann fing er an, die Länge zu egalisieren, hier und dort noch eine Spitze abzuschneiden und die beiden Koteletten in Form zu bringen. Wie nebenbei erzählte er mir, dass er halb blind sei, seine Brille aber hasse, die seine Nase drücke und sich schnell beschlage. »Das Haar lädt sich elektrisch auf, wird vom Glas wie von einem Magnet angezogen, und ich sehe bald überhaupt nichts mehr«, fügte er hinzu.
    Und wie er dann die Haare all seiner anderen Kunden schneide, wollte ich wissen.
    »Nach Gefühl, diese Schädel schneide ich doch seit vierzig Jahren. Ich kenne jede Rundung und Narbe. Dein Kopf ist mir neu, ich muss dir nur ein paarmal die Haare schneiden, dann kenne ich auch deinen Schädel.«
    Ich wollte nie wieder hingehen. Nicht nur, weil meine Mutter mir unterstellte, ich hätte das Geld für Zigaretten ausgegeben und mir die Haare von einem Schafscherer so scheußlich kürzen lassen. Auch nicht, weil sich die Wunde am Ohr entzündete und höllisch schmerzte. Es war vielmehr so, dass mich meine Freundin Mirjam zum ersten Mal auslachte. Sie unterstellte mir, ich würde in die Armee eintreten wollen und meinen Kopf deshalb verunstalten, damit ich blöd genug aussah. Dann hielt sie inne und betrachtete mein Gesicht eingehend. Das sei mir gelungen, sagte sie.
    Das gab mir den Rest. Ich gab

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