Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
ab!«
»Ach was, es ist nur ein Kratzer«, erwiderte der Friseur routiniert und kalt.
Und dann endlich fiel ein Sprichwort: »Scheich Sanki haben wir gemeinsam begraben«, sagte mein Vater zu einem der Männer im Salon. Aus dem Zusammenhang des Gesprächs verstand ich in etwa den Sinn: Der Mann kannte die Wahrheit, tat aber so, als wüsste er von nichts.
Dazu wollte ich die Geschichte hören. Mein Vater wusste nicht, was hinter dem Sprichwort steckte, der Friseur schon.
Scheich Sanki haben wir
gemeinsam begraben
Zwei Straßenräuber waren alt und gebrechlich geworden und hungerten sich durch die Tage. Da kam der eine auf die Idee, den Menschen nicht länger nachzulaufen, sondern sie zu sich kommen zu lassen, um sie auszurauben.
»Eine Bank gründen?«, fragte der andere.
»Wäre schön, aber so, wie wir aussehen, wird uns keiner sein Geld anvertrauen. Nein, wir errichten eine Gedenkstätte, ein Heiligengrab für einen gottesfürchtigen Scheich, der vor dreihundert Jahren gestorben ist und nun im Paradies lustwandelt. Und wir spielen die Diener dieses Heiligen, der alles heilt und auch sonst alle Wünsche erfüllt. Dafür müssen die Leute nur eine Kleinigkeit spenden.«
Die Idee gefiel dem anderen Räuber, und so bauten sie auf einem einsamen Hügel nahe Damaskus ein kleines Häuschen mit einer winzigen grünen Kuppel. Ein großes geschmücktes Grab füllte den einzigen Raum. Dahinein legten die Räuber die Knochen des Hammels, den sie zuletzt geraubt und während der Arbeit am Haus gegrillt und gegessen hatten. Alles an diesem Haus war geraubt, die beiden Fenster, die Tür, die bunten seidenen Tücher, die von der Decke hingen und dem Raum etwas Sakrales schenkten, ja sogar die Kleider samt Turban hatten die beiden aus einer Moschee entwendet.
Und dann hockten sie sich mit ernstem Gesicht vor die Tür, murmelten irgendetwas in ihren Bart hinein und ließen dabei die Perlen eines Gebetskranzes – übrigens ebenfalls geraubt – durch ihre Finger gleiten. Sie sahen in der Tat überzeugend aus, und die Weihrauchschwaden wehten den letzten Zweifel an der Echtheit der heiligen Gedenkstätte von dannen.
Es verging kein Tag, und schon drängten sich Neugierige um das Grab. Die beiden Räuber sprachen wenig und machten nur vage Andeutungen. Jede Frage nach der Erfüllbarkeit eines Wunsches aber, und war er noch so irrsinnig, beantworteten sie mit Ja. Die Frage nach dem Kindersegen wurde bald zum Schlager, und Schwangere konnten sogar wählen, ob sie ein Mädchen oder einen Jungen haben wollten. Händler brauchten nur ihren Geldbeutel über das Grab zu halten und ihn dreimal zu reiben, und schon waren finanzielle Sorgen für ein ganzes Jahr verbannt. Und Mütter von Emigranten baten den Scheich um eine baldige gute Nachricht von ihren Söhnen in Amerika, Australien oder Saudi-Arabien.
Die Leute äußerten ihre Wünsche und spendeten den bescheidenen Wächtern des Heiligengrabes etwas Geld. Bald kamen die Leute in solchen Mengen, dass unten am Fuß des Hügels eine Bushaltestelle eingerichtet wurde, die auch ohne Schild den Namen »Scheich-Sanki-Station« trug. Alle Bus- und Taxifahrer der Gegend kannten sie. Bald begannen die beiden, andere Grab- und Heiligenstätten zu erkunden, um ihre eigene Arbeit noch zu verbessern. Sie ließen einen blühenden Garten um das Haus anlegen und stellten einen Korb mit Lamettafäden neben das Grab. Jeder Bittsteller wurde aufgefordert, einen Faden mitzunehmen und ihn, wenn seine Wünsche erfüllt würden, und nur dann, zurückzubringen und an eine Stange über dem Grab zu binden. Sicherheitshalber hatten die beiden bereits über hundert Fäden an der Stange befestigt.
Das Geschäft blühte nicht, es glühte. Ging nämlich einer von zehn Wünschen in Erfüllung, so verbreitete sich die Kunde davon in Damaskus wie ein Lauffeuer. Bald pilgerten selbst Ungläubige zu der Heiligenstätte, um sich ein Bild zu machen. Und sie spendeten heimlich, denn es war inzwischen bekannt, dass sich Scheich Sanki Geizhälsen gegenüber ungnädig zeigte und ihnen das Gegenteil ihrer Wünsche brachte.
Nach kurzer Zeit schon hatten sich beide Räuber ein Haus gekauft und lebten in Saus und Braus. Sie gewannen in jeder Hinsicht an Gewicht, und ihre Gesichter verloren alles Räuberische und wurden rund und glatt.
Eines Tages erkrankte der eine Räuber und musste eine Woche zu Hause bleiben. Der zweite aber nahm aus alter Gewohnheit alle Einnahmen an sich und behauptete, es hätte keine
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