Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
meinen Plan auf, das Buch zu Ende zu schreiben.
Erst vierzig Jahre später schickte mir meine Schwester ein Buch mit Damaszener Sprichwörtern. Soweit ich mich erinnere, schrieb sie, hast du als Fünfzehnjähriger so ein Projekt vorgehabt. Nun hat ein anderer die Sprichwörter gesammelt.
Ich blätterte in dem Buch. Es waren sorgfältig und gewissenhaft zusammengetragene Sprichwörter und eine Menge Geschichten. Neben jeder Geschichte war der Name des Erzählers vermerkt. Bei den meisten Geschichten stand der Name des Friseurs. Ich lachte, weil ich mir den Sammler unter der gnadenlosen Schere dieses Friseurs vorstellte. Ich surfte im Internet und gab bei der Bildsuche den Namen des Herausgebers an. Ich wurde reichlich belohnt. Der Mann war eitel und hatte Fotos von sich aus allen Lebensphasen ins Internet gestellt. Er war als Kind, als Schuljunge, als Jugendlicher, als Soldat, als Lehrer und als Sammler von Märchen, Sprichwörtern und Legenden in Syrien zu sehen. Es gab auch Familienfotos und Fotos, auf denen er zusammen mit berühmten syrischen Persönlichkeiten zu sehen war.
Man sah den Bildern an: Bis etwa siebzehn hatte der Mann wunderschöne Haare und einen passenden Haarschnitt gehabt. Dann aber gab es einen Bruch. Danach zeigten ihn alle Fotos mit scheußlichen Haaren.
Lieber Haare verlieren als Sprichwörter, könnte man sagen. Und das klingt auch schon fast wie ein Sprichwort und hat bereits seine Geschichte.
DER WETTBEWERB DER LÜGNER
Weil ich als Kind häufig krank war, musste ich oft das Bett hüten. Im Kinderzimmer bekam ich den Schlafplatz am Fenster, so dass ich am Tag das Geschehen im Innenhof verfolgen konnte, und in der Nacht vertrieben die Geschichten, Anekdoten, Gerüchte und Witze, die dort erzählt wurden, meine Schmerzen. Danach konnte ich, wenn auch spät, immer gut einschlafen. Die Geschichten waren nicht unbedingt für Kinder gedacht. Und daran hatte ich den meisten Spaß.
Eines Nachts erlebte ich einen ungewöhnlichen Wettbewerb. Es war eine Nacht im Juli. Damaskus hatte den ganzen Tag unter der erbarmungslosen Sonne geglüht. Die Nacht war zu müde, um all die Hitze wegzutragen.
Die Leute saßen im Innenhof und unterhielten sich lange, hofften auf eine Brise frische Luft und darauf, völlig ermattet, endlich in den Schlaf zu sinken. Als Kind merkte ich im Lauf der Jahre, dass sich die Erzählungen einer ganz bestimmten Ordnung folgend veränderten, je weiter der Abend fortschritt. Erst wurden Gerüchte ausgetauscht, dann kamen Geschichten aus dem Alltag, vermengt mit Politik, und je später es wurde, umso phantastischer wurden die Geschichten. Doch noch nie erlebte ich einen Wettbewerb der Erzähler. Es winkten weder Medaillen noch Geld, die die Erzähler hätten verführen können. Allein die Freude am Fabulieren trieb die Frauen und Männer in die Arena.
Ich wurde erst aufmerksam, als einer in der Runde sagte, er kenne die beste Dschinn-Geschichte. Großer Protest erhob sich unter den Zuhörern. Und Aida, die Frau des Postboten, rief in die Runde: »Welche Geschichte du auch über Dschinn und Geister zu erzählen hast, du wirst sie im Vergleich zu meiner Geschichte bald für lauwarme Limonade halten.« Erst jetzt richtete ich mich ein wenig im Bett auf und sah in den Hof hinaus. Ich kannte den Rivalen. Es war der alte Schlosser Gibran. Er ließ sich nicht einschüchtern.
»Aida, Aida!«, sagte der Mann mit gespieltem Mitleid, »du hast große Worte in deinen schönen kleinen Mund genommen, aber das ist noch nicht der Beweis für eine gute Erzählung.«
Aida wollte etwas erwidern, doch die Nachbarin Suad war schneller.
»Also erzählt, und wir entscheiden, wer besser ist«, sagte sie und sprach damit allen, auch mir, aus der Seele.
»Du bist der ältere von uns beiden. Fang an«, forderte Aida den Schlosser mit einem ironischen, siegessicheren Lächeln heraus.
Dschinn im Hammam
»In meiner Kindheit«, sagte Gibran, der alte Schlosser, und schlürfte genüsslich laut seinen Tee, »war der Hammam in der Bakri-Gasse noch ein prachtvolles Gebäude. Heute ist er ja leider ziemlich verfallen.« Er lachte. »Mein Großvater hatte zum Entsetzen seiner Frau viele Schauergeschichten von diesem Hammam anzubieten. Seine Lieblingsgeschichte, die er uns immer wieder erzählen musste, war die von dem Dschinn, der baden wollte. Aber vielleicht ist es zu dieser späten Stunde unpassend, so etwas zu erzählen …«
»O nein«, kam es aus den Mündern der Versammelten. Der
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