Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
Bindung, davor, Vater zu werden. Als sie mir anbot, zu mir zu ziehen, bin ich ausgeflippt – es war genau wie mit Claire. Ich kam einfach nicht damit zurecht, also haben wir uns getrennt.
Ich denke, Dr. H. fiel es schwer zu glauben, dass ich allein wirklich glücklicher war – anfangs fiel es mir auch nicht leicht, das einzusehen. Wie er dachte ich, dass mich eine psychologische Hürde daran hinderte, Nähe zulassen zu können«, sagte er.
Ich fragte ihn, ob er mit Dr. H. Gründe dafür gefunden hatte, warum er sich so fühlte.
»Ich könnte Ihnen jetzt allerlei aufzählen, aber Tatsache bleibt, wenn ich mit jemandem zusammen bin, fürchte ich zu verschwinden, zu sterben – den Verstand zu verlieren.«
Noch während er redete, spürte ich ein wachsendes Unbehagen. Ich begriff, dass meine Ahnung, die mir bei unserem ersten Gespräch gekommen war – er wolle ein Attest, das ihn von der Hochzeit befreite, für immer – richtig gewesen war, nur hatte ich es mit meiner flapsigen Bemerkung zu Dr. H. beiseitegewischt: »Vielleicht muss er nur den richtigen Menschen kennenlernen.«
Als würde er meine Gedanken lesen, sagte Michael: »Viele Menschen und insbesondere Psychoanalytiker glauben, Glück ließe sich nur in einer Partnerschaft finden – doch sind nicht alle von uns dafür gemacht.«
»Sie finden, ich habe Sie in unserem ersten Gespräch falsch eingeschätzt?«
»Sie wollten herausfinden, was zwischen Claire und mir falsch gelaufen ist. Als ich ging, hatte ich den Eindruck, dass Sie zwar verwirrt sind, aber es gut mit mir meinen. Die meisten Menschen halten mich für schüchtern und denken, ich sei ängstlich und leide an mangelndem Selbstwertgefühl. Sie haben das nicht geglaubt, aber Sie dachten, eine Therapie könne mir helfen, in einer Partnerschaft zu leben – und das war falsch.«
Er beugte sich vor. »Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe. Diesen Fehler machen viele Leute, ich selbst gelegentlich eingeschlossen. Das Problem aber ist, sobald ich meine, die richtige Distanz gefunden zu haben, ändern sich die Spielregeln, und ich finde, der andere Mensch ist mir zu nahe.
Liebe kann nicht ändern, was mit mir falsch ist«, fuhr Michael fort, »da ich Liebe bedrohlich finde. Genau das war der Grund für meinen Zusammenbruch vor der Hochzeit. Geliebt werden ist das Problem, denn Liebe bedeutet Anforderungen – wird man geliebt, will jemand mehr von einem.«
»Und das ist es, was ich Ihrer Meinung nach nicht gesehen habe? Was Psychoanalytiker nicht sehen?«
»Genau, aber ich habe auch lange gebraucht, um zu begreifen, was für mich richtig ist – und es zu akzeptieren.«
Ich hörte die Stimmen der Passanten draußen auf dem Bürgersteig vor meinem Fenster. »Ich weiß jetzt allerdings nicht so recht, was Sie von mir wollen«, sagte ich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Dr. H. fehlt mir«, erwiderte er. »Und mir fehlen unsere Gespräche. Er half mir, die nötigen Worte zu finden, um dies hier beschreiben zu können – und indem ich es Ihnen erzähle, fühle ich mich besser, nicht mehr so einsam. Mit Nähe werde ich nicht fertig, aber ich kann mich einsam fühlen. Also würde ich Sie gern gelegentlich aufsuchen und mit Ihnen reden, wenn ich den Drang danach verspüre.«
Ich wartete ab, ob Michael noch etwas sagen wollte.
»Geht das?«, fragte er. »Wäre das für Sie in Ordnung?«
Und darauf einigten wir uns.
Übers Nicht-wissen-wollen
Ich vermutete schon lang, dass der Mann meiner Patientin eine Affäre hatte, wusste es natürlich aber nicht mit Gewissheit.
Einige Jahre nach meiner Abschlussprüfung, ich war damals neununddreißig, nahm ich eine Patientin an, die ich Francesca L. nennen will. Sie kam auf Empfehlung ihres Hausarztes und litt an einer postpartalen Depression. Im Verlaufe des ersten Jahres ihrer Psychoanalyse legte sich die Depression nach und nach, doch Unstimmigkeiten mit ihrem Mann – vermutlich aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich als Paar zu begreifen – führten dazu, dass sie sich unglücklich und ruhelos fühlte.
Ich kann nur wissen, was mir meine Patienten erzählen, trotzdem wurde ich während dieser ersten beiden Analysejahre das Gefühl nicht los, dass Francescas Mann ihr untreu war. Bereits während seiner ersten Ehe hatte Henry zahlreiche Affären gehabt und seine Frau sowie den zehnjährigen Sohn verlassen, um Francesca zu heiraten. Außerdem gab es da eine Reihe kleiner, scheinbar unbedeutender Details, die bei mir die Alarmglocken
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