Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
schrillen ließen. Henry ging jeden Abend nach der Arbeit zum Schwimmen in den Fitnessclub, nur war er bei zwei Gelegenheiten nicht dort, als Francesca ihn dort treffen wollte. Und dann die Anrufe – Anrufe zu merkwürdigen Zeiten, dringende Anrufe, die in einem anderen Zimmer entgegengenommen werden mussten, Anrufe, die bewirkten, dass Henry alles stehen und liegen ließ und für zwei, drei Stunden verschwand.
In einer unserer Sitzungen beschrieb Francesca einmal recht naiv, wie sie in Henrys Büro angerufen hatte. Ein Kollege nahm den Anruf entgegen. »Er legte die Hand über die Sprechmuschel, aber ich hörte ihn trotzdem rufen: ›Hey, Stecher, ist für dich.‹«
Ich wartete, und als Francesca nicht weiterredete, fragte ich sie, was das für sie bedeutete.
»Nichts – ich fand es nur lustig. Typisch Jungs«, sagte sie.
Ich schwieg.
»Vielleicht war es sogar ein Kompliment.«
»Sind Sie denn nicht neugierig darauf, warum die Kollegen Ihren Mann einen ›Stecher‹ nennen?«
»Nein, nicht besonders. Die reden doch alle so.«
Aufgrund der Geschichten, die Francesca mir erzählte, machte ich mir immer größere Sorgen. Sitzung um Sitzung verzweifelte ich zunehmend an ihrem Mangel an Neugier. Ich konnte nicht glauben, dass sie gar nicht nachsehen wollte, ob Henry die Schwimmsachen überhaupt benutzt hatte, dass sie nicht nach ungewöhnlichen Quittungen in seiner Brieftasche suchte. Sie war nicht bloß passiv; sie schien sich größte Mühe zu geben, möglichst unwissend zu bleiben. Ich versuchte auf diverse Weise, das Thema zur Sprache zu bringen, war mir aber nicht sicher, wie weit ich ihr zusetzen durfte.
In manchen Nächten fiel mir das Schlafen schwer. Ich wachte auf, trank ein Glas Wasser, ging wieder zu Bett, lag wach und schlief erst wenige Stunden vor Tagesanbruch erneut ein. Ich war wütend wegen eines Vorfalls in meinem eigenen Leben – was dazu führte, dass es Momente gab, in denen ich glaubte, die eigenen Probleme überlagerten Francescas Analyse. Kurz vor Beginn ihrer Therapie machte ich mit einer Freundin eine schwierige Zeit durch. Es gab seltsame Anrufe – mehr als einmal ging ich an den Apparat, und der Anrufer legte auf. Als ich übers Wochenende auf einer Psychoanalytiker-Konferenz in Kopenhagen war, rief ich am Samstag spätabends an, aber meine Freundin nahm nicht ab. Als ich nach Hause kam, sagte sie, sie hätte sich am Samstagmorgen unwohl gefühlt, das Telefon ausgeschaltet und vergessen, es wieder anzustellen. »Tut mir leid«, sagte sie, »mir ist es erst am Sonntag eingefallen.« Einen Monat später trennten wir uns, und ich zog aus – erst als ich meine Sachen wieder auspackte und in den Schrank hängte, fiel mir ein Männerhemd auf, das mir gar nicht gehörte. Im Bett dachte ich dann daran, wie ich betrogen worden war und konnte nicht schlafen.
Einige Wochen nach unserem Gespräch über den Spitznamen »Stecher« hörte Francesca ihr Handy klingeln – eine SMS. Sie nahm das Gerät vom Küchentisch und las: xxx. Es war ganz untypisch für Henry, ihr einen Kuss zu schicken, geschweige denn gleich drei. Erst später fiel ihr auf, dass es gar nicht ihr Handy war – sie und Henry hatten identische Apparate – es war seins. Wer, fragte sie sich, schickte ihm Küsse? Er sagte, bestimmt handle es sich um ein Versehen oder einer der Jungs aus dem Büro habe sich einen Scherz erlaubt – er kenne die Nummer des Anrufers nicht.
»Haben Sie sich die anderen Textnachrichten angesehen? Oder die Anruferliste?«, fragte ich.
»Nein, ich dachte, ich hätte getan, was ich Ihrer Meinung nach tun sollte – ich habe ihn gefragt, was es damit auf sich hat, und er hat es mir erklärt«, sagte sie. »Ich hoffte, Sie wären zufrieden.«
Mir wurde das Herz schwer. Es wurde immer deutlicher, dass Francesca sich gedrängt fühlte, mir Geschichten zu erzählen, die mich glauben ließen, Henry sei ihr untreu, doch wenn ich darüber reden wollte, dass Henry eine Affäre haben könnte, mauerte sie plötzlich. Das ergab keinen Sinn, und doch schien Francesca mit diesen Unstimmigkeiten so zufrieden zu sein, dass ich annahm, sie müssten auf einer tieferen Ebene für sie Sinn ergeben – nur welchen?
Einige Monate lang kamen wir immer wieder auf dieses Problem zurück. Natürlich fragte ich mich, ob mich meine Überidentifikation mit Francesca veranlasste, ihre Situation falsch einzuschätzen, indem ich den mir selbst widerfahrenen Betrug in ihre Ehe hineindeutete – nur ergab das
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