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Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Titel: Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Grosz
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Freundin musste laut lachen. Ich war fest davon überzeugt, dass Phoebe meine Lieblingstasse zerschlagen hat, weil Paul sich zu uns an den Tisch setzte.«
    »Ihr erster Impuls war es also, Paul Vorwürfe zu machen, ihn zu hassen – damit Sie Phoebe nicht hassen mussten. Es dürfte Ihnen schwerfallen, Paul zu begehren, wenn Sie es so nützlich finden, ihn zu hassen.«
    Jessica barg ihr Gesicht in den Händen und gab einen Laut von sich, den ich erst nicht einzuordnen wusste. Ich hatte sie noch nie weinen hören.
    Als Jessica am Ende der Stunde aufstand, um zu gehen, fiel mir wieder ein, mit welcher Ungeduld ich auf das Wort mein »Süßer« reagiert hatte. »Süßer«, damit war keine Intimität, keine Liebe gemeint, sondern mit Zucker glacierter Hass.
    Bleibt nur noch eines hinzuzufügen. Einige Wochen später sah Jessica, wie Paul mit seiner Assistentin, einer klugen, hübschen Praktikantin, im Konferenzzimmer eine Kundenpräsentation vorbereitete. Bislang waren Jessica die beiden noch nie aufgefallen, aber als sie ihnen nun vom Schreibtisch aus zusah und bemerkte, wie sie sich beim Reden berührten, wie sie gemeinsam über etwas lachten, das Paul gesagt hatte, da wusste sie, wie sehr sie ihn begehrte.

Wie uns Liebeskrankheit an der Liebe hindert
    Mary N., eine sechsundvierzig Jahre alte Hausfrau und Mutter dreier Kinder, wurde mit einer manischen Psychose ins Krankenhaus eingeliefert. Kurz vor ihrem Nervenzusammenbruch war Mary mit ihrem Mann auf der Gartenparty einer Nachbarin gewesen und hatte dort Alan kennengelernt, einen seit kurzem verwitweten Anwalt. Im Laufe des Abends kamen Mary und Alan irgendwann in der Küche miteinander ins Gespräch. Sie redeten offen über seine Trauer um seine Frau und über ihre Trauer um die kürzlich an Krebs gestorbene Schwester. Er schlug vor, sie solle doch am nächsten Freitag zu ihm nach Hause zum Abendessen kommen. Der Freitag kam, und Mary tauchte mit einem Strauß Pfingstrosen vor seiner Tür auf, einer Flasche Sancerre und einem Umzugswagen, der ihre sämtlichen Kleider und Besitztümer, darunter auch einige größere Möbelstücke enthielt. Alan begrüßte Mary und nahm die Geschenke entgegen, doch erst als er die Umzugsleute sah, begriff er, was sie vorhatte. Als er sich daraufhin weigerte, Mary ins Haus zu lassen, reagierte sie ganz verzweifelt, weinte und zerriss sich die Kleider. Alan rief ihren Mann an, der seinerseits den Hausarzt holte.
    Vier Monate nach der Trennung von seiner Frau flog Isaac D., ein einundvierzig Jahre alter Chirurg, zu einer Konferenz nach Amerika. In einer Bar des Kennedy-Airports lernte er eine neunundzwanzigjährige Zahnärztin namens Anna kennen. Sie unterhielten sich etwa eine Stunde lang und gingen dann ihrer Wege. Nach seiner Rückkehr nach London machte Isaac sie über das Internet ausfindig. Zwei Tage später betrat er mit einem Armvoll Blumen und einer Perlenhalskette ihre Zahnarztpraxis in Buenos Aires. Anna rief auf der Stelle ihren Vater und ihren Verlobten an; beide kamen in die Praxis und forderten Isaac auf zu gehen, doch erst als die Polizei kam und ihm mit einer Verhaftung drohte, willigte Isaac ein, sich zurückzuziehen. Eine Woche später saß er vor mir und erklärte, es sei ihm immer schon leichtgefallen, sich in jemanden zu vergucken, doch sei es diesmal anders, er sei wirklich verliebt. Er habe sich nur bereiterklärt, mich aufzusuchen, weil sein Arzt darauf bestanden hatte. Und er sei willens, über die Gefühle zu reden, die Annas Zurückweisung in ihm ausgelöst habe, doch könne er nicht erkennen, dass an seinem Verhalten irgendetwas auszusetzen sei. »Ich bin eben ein altmodischer Romantiker«, erklärte er.
    Die meisten von uns werden früher oder später einmal liebeskrank und leiden mehr oder minder heftig unterm Liebesfieber. In schweren Fällen kann die Liebeskrankheit zu Wahnverhalten (etwa zu zwanghaften Nachstellungen) oder zu sexuellen Obsessionen führen. Sind wir liebeskrank, spüren wir, dass unsere emotionalen Grenzen, die Mauern zwischen uns und dem Objekt unserer Begierde, gefallen sind. Wir fühlen ein starkes körperliches Verlangen, einen Schmerz, und glauben, wir sind verliebt.
    Viele Analytiker halten Liebeskrankheit für eine Form von Regression und meinen, dass wir, wenn wir uns nach intensiver Nähe sehnen, wie Kinder sind, die es nach der Umarmung der Mutter verlangt. Deshalb sind wir dem größten Risiko ausgesetzt, wenn wir mit Trauer oder Verzweiflung kämpfen, oder wenn wir einsam und

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