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Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Titel: Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Grosz
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die ihr von Tom eingegebene Vorstellung, Olivers Leichtsinn könnte dazu führen, dass eines Tages die Polizei vor ihrer Tür stünde.
    Bloß stimmte das nicht ganz – denn während wir beide nun glaubten, dass sie sich mittels Sex vor bestimmten Emotionen schützte, hatte es sich für sie überhaupt nicht so angefühlt. Vielmehr hatte sie die ganze Nacht gemeint, nach etwas zu suchen. Masturbation folgte auf Sex und der Traum folgte aufs Masturbieren, weil es da etwas gab, nach dem sie sich sehnte, nicht etwas, wovor sie zu fliehen versuchte. Als sie aufstand, hatte sie sich keineswegs deprimiert gefühlt, sondern als ob ihr etwas fehlte. Doch warum?
    Was wollte sie?
    Von einer plötzlichen Erinnerung aufgeschreckt änderte sie auf dem Sofa unruhig ihre Haltung.
    Sie begann von einem sonnigen Tag zu erzählen, den sie einmal mit Oliver und ihrer Mutter im Park verbracht hatte. Oliver war damals drei Jahre alt gewesen. Sie teilten sich eine Decke und sahen den älteren Kindern zu, die Drachen steigen ließen. Rebecca zeigte ihrer Mutter die Muttertagskarte, die Ollie im Kindergarten für sie gemacht hatte. Auf der Vorderseite war eine von ihrem Sohn liebevoll ausgemalte Dampflok. Die Karteninnenseite, mit der er sich offensichtlich die meiste Mühe gegeben hatte, zeigte zwei lange X-Reihen, ein Kuss für jedes X. Ollie schmiegte sich an sie, umarmte sie von hinten und krabbelte dann auf ihren Schoß.
    »Warum lässt du dich von ihm als Klettergerüst benutzen?«, hatte die Mutter gefragt, und Rebecca war schockiert – ihr war nie auch nur in den Sinn gekommen, dass sie ihm dies verbieten sollte.
    Nach einer Pause fuhr sie fort: »Ollie hat mich ständig berührt. Er ertrug es nicht, wenn ich für ihn außer Sichtweite war. Wenn ich telefonierte oder mich mit jemandem unterhielt, hat er immer versucht, mich auf sich aufmerksam zu machen, hat meine Hüfte getätschelt und ›Mummy, Mummy, Mummy‹ gesagt, immer wieder …«
    Bei ihren Worten – »Meine Hüfte getätschelt« – hatten wir beide zugleich aufgemerkt und an ihren Traum gedacht: »hielt mich an der Hüfte fest, nein, tätschelte sie – begehrte mich«. Und wir begriffen, dass es im Traum nicht um einen alten Freund ging. »Mein Traum handelt von Ollie und mir, oder?«
    Darauf sagten wir beide nichts.
    »Es fehlt mir, dass er nicht mehr mein Baby ist«, sagte sie.
    Rebecca sehnte sich nach etwas Unmöglichem, nach einer Zeit, in der sie von ihrem dreijährigen Jungen geherzt, beklettert, geküsst, beschmust und geliebt wurde. Sie sehnte sich nach Olivers drängenden Bitten um ihre Aufmerksamkeit – Mummy, Mummy, Mummy  –, danach, dass seine Hand ihre Hüfte berührte und sie spüren konnte, wie sehr er sie brauchte.

Über Hass
    Jessica B. begann ihre Montagmorgensitzung, indem sie mir vom Wochenende erzählte. Sie hatte die vierjährige Tochter bei ihren Eltern abgegeben und war mit Paul, ihrem Mann, nach Cambridge gefahren, um sich für ein Bauprojekt zu bewerben. Paul hatte vorgeschlagen, über Nacht zu bleiben, und ihr Klient, ein University College, hatte ihnen ein Zimmer in einem historischen Gebäude gebucht: »Mittelalterlich, Fachwerk, dazu dieser phantastische Kamin«, erzählte Jessica. »Es war urgemütlich.«
    Die Bewerbung war erfolgreich, und Paul wollte feiern. Er bestellte ein romantisches Dinner und zündete ein Feuer an. Jessica nahm ein Bad, und als sie ins Zimmer zurückkam, trug Paul den Kaschmirpullover, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. »Er sah so niedlich aus. Wir aßen zu Abend und kuschelten vor dem Kamin. Ich wusste, Paul wollte Sex, aber mir war einfach nicht danach. Ich habe mir gewünscht, mir wäre nach Sex, aber so war es eben nicht. Und er hat sich nicht geärgert – er ist wirklich ein ganz Süßer.«
    Irgendwas an dem Wort »Süßer« störte mich. »Hören Sie, welche Wörter Sie benutzen?«, fragte ich. »›Niedlich‹, ›kuscheln‹, ›Süßer‹ – so beschreibt man ein Kind, aber doch keinen Mann, der Sex will.«
    »Ich nenne Paul nun mal meinen ›Süßen‹ – soll ich mir einen anderen Kosenamen für ihn aussuchen?«
    Nein, erwiderte ich, sie solle durchaus ihre eigenen Wörter benutzen, nur fand ich, ihre Wortwahl deutete an, dass sie Paul entsexualisiere.
    Mag sein, antwortete sie. Letzte Woche hatte sie auf dem Parkplatz vom Supermarkt einen Mann gesehen, in den sie während ihrer Studienzeit verknallt gewesen war. Sie gingen nie zusammen aus, und Jessica kannte ihn nicht mal

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