Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
hat dazu geführt, dass Helen sich veränderte, doch meine ich, dieses Bild von dem, was aus ihr werden könnte, hat gewiss dazugehört. Solange ich sie kannte, machte Helen der Gedanke zu schaffen, dass für sie die Zeit stillzustehen schien, seit sie – vor nunmehr fast zehn Jahren – Robert kennengelernt hatte. Sie sah, wie sich die Menschen um sie herum veränderten – wie sie heirateten, Kinder bekamen –, während ihr eigenes Leben auf der Stelle trat. Dabei hatte sie immer Robert im Blick. Ging sie zur Hochzeit einer Freundin, fragte sie sich: »Warum macht er mir keinen Antrag? Was stimmt mit mir nicht?«
Dann begann sich etwas zu verändern. Eines Tages beschrieb Helen die Babyparty bei einer Freundin. Eingeladen waren ausnahmslos Frauen, Studienfreundinnen, und statt darüber zu reden, ob sie und Robert je ein Baby haben würden, redeten wir über Helens Freundinnen – ihre Nähe und das Verständnis füreinander. Helen konnte spüren, dass das gegenseitige Vertrauen stärker geworden war und auch in Zukunft noch zunehmen würde.
Bei einem Abendessen mit derselben Gruppe eine Weile später sah sie sich plötzlich mit den Augen ihrer Freundinnen – eine Frau, die sich verzweifelt an die Beziehung zu einem nicht realen Partner klammerte, während sie sich von jenen absonderte, denen sie wirklich etwas bedeutete. Sie hatte schon oft gedacht, dass ihre Robert-Phantasien sie davon abhielten, einen Ehemann zu finden und ein Baby zu bekommen, doch nun wurde ihr zum ersten Mal klar, dass diese Phantasien sie auch die Liebe ihrer Freundinnen kosteten. »Ich war krank vor Kummer, als ich daran dachte, was mir entgangen war«, erzählte sie hinterher. Beim Dessert klingelte ihr Handy, und sie sah, dass es Robert war, aber sie ging nicht ran. Sie wandte sich wieder ihren Freundinnen zu.
Veränderung
Wie die Angst vor Verlust dazu führt, dass wir alles verlieren
Als das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers stürzte, befand sich Marissa Panigrosso im neunundzwanzigsten Stock des Südturms und unterhielt sich mit zwei Kolleginnen. Sie hörte die Explosion nicht nur, sie spürte sie auch. Als würde eine Ofenklappe geöffnet, schlug ihr ein Schwall heißer Luft ins Gesicht. Eine Woge der Angst raste durchs Büro. Marissa Panigrosso nahm sich nicht einmal die Zeit, den Computer auszuschalten oder ihre Handtasche zu holen. Sie lief zum nächsten Notausgang und verließ das Gebäude.
Die zwei Frauen, mit denen sie sich unterhielt – auch die Kollegin, mit der sie ihren Arbeitsplatz teilte – rührten sich nicht vom Fleck. »Ich weiß noch, dass ich nach draußen lief, aber sie kamen mir einfach nicht nach«, erklärte Marissa später in einem Interview des American National Public Radio. »Ich sah meine Kollegin telefonieren. Und die andere Frau – genau das Gleiche. Sie saß mir schräg gegenüber, redete in den Apparat und wollte nicht gehen.«
Tatsächlich haben viele Menschen in Marissa Panigrossos Büro den Feueralarm ignoriert, auch das, was sie knapp vierzig Meter entfernt im Nordturm sahen. Einige eilten zu einem Meeting. Eine Freundin von Marissa, eine Frau namens Tamitha Freeman, kehrte um, nachdem sie bereits mehrere Stockwerke nach unten gelaufen war. »Tamitha rief: ›Ich kann nicht ohne die Bilder von meinem Baby gehen‹; sie hat es nicht mehr nach draußen geschafft.« Die beiden Frauen, die blieben und telefonierten, und die Leute, die zu einem Meeting eilten, sie alle verloren ihr Leben.
In Marissa Panigrossos Büro, aber auch in vielen anderen Büros im World Trade Center, gerieten die Leute nicht in Panik und stürzten auch nicht nach draußen. »Ich fand das ziemlich seltsam«, erzählte Marissa. »Ich fragte meine Freundin: ›Warum bleiben die denn alle?‹«
Was Marissa seltsam fand, ist eigentlich die Regel. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Menschen keineswegs sofort reagieren, wenn ein Feueralarm ausgelöst wird. Sie unterhalten sich weiter und versuchen herauszufinden, was eigentlich los ist. Sie bleiben.
Das dürfte jeder kennen, der schon einmal an einem Probealarm teilgenommen hat. Statt das Gebäude zu verlassen, warten wir ab. Wir warten auf weitere Hinweise – auf Rauchgeruch oder auf einen Rat von einer Person, der wir vertrauen. Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass wir uns trotz zusätzlicher Informationen nicht von der Stelle rühren. 1985 starben sechsundfünfzig Menschen, als ein Feuer auf der Zuschauertribüne des Valley
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