Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
meiner Meinung nach sein sollte.«
Sie sagte, seit der Beerdigung habe sie nicht mehr geweint. Als sie sich am Abend zuvor mit Dan, ihrem Partner, einen Film auf DVD ansah, waren ihr die Tränen gekommen. »Er hat einen Arm um mich gelegt und geglaubt, ich würde an meinen Dad denken – aber das habe ich nicht, ich habe geweint, weil der Film so traurig war. Und ich weiß noch, dass ich dachte, ich müsste meinem Dad von dem Film erzählen. Er hätte ihm gefallen.
Ich habe das Gefühl, wir leben zwischen zwei Anrufen. Er sitzt nicht am Schreibtisch, weshalb er mir gerade keine Mail schicken kann. Er ist noch nicht von der Arbeit zurück, ist am Strand – er hat keinen Empfang. Ich glaube irgendwie nicht, dass er tot ist. Ich denke immer noch, dass er da sein wird, wenn Dan und ich heiraten, wenn wir Kinder bekommen.«
Einen Moment lang dachte ich, ich hätte was verpasst. Und als ich schon fragen wollte, ob sie denn bald heiraten wolle, fuhr sie fort, dass es da noch etwas gäbe, worüber sie mit mir reden müsse, und zwar über Dan.
Er war achtunddreißig, vier Jahre älter als sie – ein Betriebswirt, der im Finanzsektor arbeitete. Sie hat nie Bank gesagt; alle Welt hasst Banker. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, ein, zwei Jahre in London zu arbeiten und zu reisen – um dann, wenn sie so weit waren, Kinder zu bekommen. Doch jetzt lebten sie schon seit vier Jahren in London, und Jennifer wollte Kinder, na ja, schon lange.
Dan habe eigentlich nichts gegen Kinder, fuhr sie fort, er findet nur, dass jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür sei. Und da war noch etwas. »Letzte Woche waren wir zusammen essen, und neben uns saß eine Familie mit zwei Kindern. Dan hat den Kellner um einen anderen Tisch gebeten. Er hasst Chaos, und ich mache mir Sorgen, dass er vielleicht doch kein so guter Vater sein wird.«
Ich fragte, ob es schon Pläne für die Hochzeit gäbe – hatten sie bereits einen Termin vereinbart?
Sie erklärte, Dan vertrage keinen Druck. Außerdem sehe er keinen Sinn in der Ehe. »Er sagt: ›Ich entscheide mich jeden Tag für dich, warum sollten wir da heiraten?‹«
Mehrere Male hatte sie darauf gedrängt, dass er sich festlegte, ihr zumindest zu verstehen gab, wie es weitergehen sollte. Vor einem Jahr hatte er dann gesagt, dass er eine Ehe in Betracht ziehe, aber auf einen Ehevertrag bestünde. Sie war wie vor den Kopf geschlagen; allein der Gedanke schien ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie erklärte, sie habe aufgehört, um das zu bitten, was sie sich wünschte, und versuche nun, sich mit dem abzufinden, was sie habe.
»Sie glauben nicht, dass er einen guten Vater abgeben würde, oder?«, fragte sie.
»Was meinen Sie?«
»Er kann sich doch ändern, nicht?«
»Was lässt Sie glauben, dass er sich ändern möchte?«, fragte ich.
Sie schwieg einen Moment. Dann sagte sie, sie hätte Dan vorgeschlagen, einen Paartherapeuten aufzusuchen, aber er wollte sich auf nichts einlassen, solange sich die Dinge in seinem Job nicht wieder beruhigt hätten. In letzter Zeit musste er berufsbedingt oft verreisen.
Ich fragte sie, ob sie ihn vermisse, wenn er fort sei.
Früher ja, aber seit einiger Zeit male sie sich ein Leben nach dem Ende ihrer Beziehung aus.
»Und was stellen Sie sich so vor?«, fragte ich.
»Ich mache mir Sorgen um ihn. Ich stelle mir vor, ich reise in die Staaten zurück und rufe ihn an, um mich zu vergewissern, dass es ihm gutgeht. Er ist ein prima Kerl, aber in vielerlei Hinsicht eben noch ein Junge. Man muss sich um ihn kümmern.«
Ich blieb stumm.
»Sie glauben, ich behandle ihn, als wäre er mein Baby«, sagte sie. »Finde ich mich deshalb mit der Situation ab, statt darauf zu drängen, selbst ein Kind zu bekommen?«
Das weiß ich noch nicht, erwiderte ich, um ihr dann zu sagen, wie sehr es mich verblüffe, dass sie nicht wütend sei, da Dan doch seine Ansichten geändert hatte und jetzt keine Kinder mehr wolle.
Sie sagte, sie empfinde keine Wut. »Ich weiß, das sollte ich – meine Freundinnen sagen mir, dass sie ziemlich wütend wären –, aber ich kann nicht. Es macht mir nichts aus, jedenfalls nicht so viel, wie es eigentlich angemessen wäre.«
Eine Weile sagten wir beide nichts; dann bat ich sie, mir mehr von sich zu erzählen. Wo war sie aufgewachsen? Wie war ihre Mutter?
In der nächsten Stunde erzählte Jennifer viel über ihre Familie und ihre Kindheit. Vater und Mutter hatten beide in San Francisco oder Umgebung gearbeitet. Mom arbeitete
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