Die Frau die nie fror
Blutergüsse haben sich bunt verfärbt – blau und lila, aber auch das Gelb eines Sommerkürbis und ein Froschgrün sind dabei. Ich bin nicht sicher, ob diese Veränderungen etwas mit dem Labrador-Tee zu tun haben. Mein Outfit vervollständigt den Regenbogeneffekt: Tiffanys rosafarbenes Sweatshirt und eine blaue Jogginghose. So kann ich nirgendwohin.
Ich will gerade aus der Tür, als mir klar wird, dass ich weder eine Kreditkarte noch einen Ausweis habe, um irgendwo Geld abzuheben. Was Margot mir an Geld gegeben hatte, ist längst ausgegeben. Parnell hat die Flugtickets und die Hotelzimmer mit seiner Karte bezahlt. Ich trete auf den Flur und klopfe an seine Tür. Als er öffnet, erkläre ich ihm meinen Plan und sage, er bekäme alles zurück.
Er begleitet mich auf die andere Straßenseite. Wir gehen von einem Geschäft zum nächsten, während ich Klamotten, Make-
up, eine Sonnenbrille, Badesalz und Schuhe kaufe. In der Faneuil Hall bestellt er ein Schinken-Sandwich zum Mitnehmen. Ich nehme ein Dutzend Austern mit Meerrettich. Wir setzen uns draußen zum Essen auf eine Granitbank auf dem zauberhaften historischen, mit Kopfstein gepflasterten Platz und versuchen, uns zu fühlen wie alle anderen. Es klappt nicht. Jeder Mann mit kantigem Gesicht und roten Haaren, der vorbeigeht, ist John Oster, bis ich blinzle und erneut hinsehe. Auch Parnell sieht nicht gerade glücklich aus. Am Ende verschlingen wir unseren Lunch wie auf Speed, werfen den Müll in einen Abfallbehälter und machen uns dann auf den Weg zum Apple Store in Back Bay, wo wir ein iPhone kaufen. Ich speichere Parnells Nummer und andere, die ich auswendig weiß. Er gibt mir noch etwas Geld.
Es ist fast zwei Uhr, als wir wieder im Hotel sind und jeder in sein Zimmer geht. Ich werfe meine Tüten aufs Bett, fülle die Badewanne mit nicht zu heißem Wasser und lasse mich lange im Schaum einweichen. Ich höre den Fernseher in Parnells Zimmer durch die Wand. Viel zu laut. Aus dem periodischen Wechsel von Stille und verhaltenem Applaus folgere ich, dass er sich ein Turnier der PGA -Tour ansieht. Merkwürdig enttäuscht lasse ich heißes Wasser nachlaufen, wodurch ich einen konkurrierenden Lärm und einen wirklich extravaganten Berg Badeschaum erzeuge. Ich könnte nie einen Mann lieben, der am helllichten Tag so laut fernsieht, und dann auch noch Golf. Mit einem Fünkchen Erleichterung sinke ich in den Schaum, der so hoch und dick ist, dass er Gebirge bildet. Gut, dass dieser Punkt jetzt schon mal geklärt ist.
*
Ich stehe vor Mrs Smith’ dreistöckigem Haus in Jamaica Plain, wohin ich vom Haymarket aus mit der Green Line gefahren bin. Das hohe Satteldach wirft einen gezackten Schatten auf den Bürgersteig. Ein scharfer Wind lässt mich frösteln, und ich wickle noch eine Runde Schal um meinen Hals. Ich erinnere mich, dass sie die Tür der Erdgeschosswohnung aufgeschlossen hat und von Jaspers freudigem Gebell begrüßt wurde, als ich sie nach dem Museumsbesuch hier abgesetzt hatte. Im Glas der Haustür hängen noch dieselben weißen Spitzengardinen, doch in dem Rundbogenfenster zur Straße sind die Kunststoffjalousien fest heruntergezogen. Ich steige ein paar Stufen auf die kleine Veranda hinauf, klingle und höre einen melodischen Dreiklang im Inneren. Ich warte. Niemand macht auf. Ich versuche es mit dem Türgriff. Abgeschlossen.
Dann drücke ich den Klingelknopf für die Wohnung im ersten Stock. Eine Minute später geht das Licht im Hausflur an, und die Stufen knarren, als jemand heruntergetrampelt kommt. Eine Frau von Mitte vierzig mit einem roten Kopftuch zieht mit gekrümmtem Zeigefinger den Vorhang zur Seite.
»Sind Sie ein Zeuge Jehovas?«
»Nein, Ma’am.«
» MASSPIRG ? Greenpeace?«
»Nein, Ma’am.«
»Was woll’n Se?«
»Ich möchte mit Ihnen über Libby Smith sprechen.«
Der Vorhang fällt, die Verriegelung gleitet zurück, und die Tür öffnet sich halb. Eine füllige Frau in Jogginghose und T-Shirt, darauf ein Bild des Basketballspielers Larry Bird mit der Unterschrift »Die Legende«.
»Was ist mit ihr?«, fragt sie. Ihr Verhalten stellt unmissverständlich klar, dass sie mich eine Minute lang ertragen wird, aber keine Sekunde länger.
»In der Nacht, als sie starb …«
»Ja? Los, weiter …«
»Ist Ihnen da etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Hab ich doch schon alles den Cops erzählt.«
»Ich bin eine Freundin. Bin nur neugierig. Als Freundin.«
Die Augen der Frau verengen sich. Sie weiß, dass hier irgendwas
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