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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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zwänge mich zwischen anderen Passagieren durch und stelle mich neben die Türen. Als sie sich am Brigham Circle öffnen, steige ich aus.
    Ich renne zum ersten Straßenbahnwagen, überquere die Gleise davor, schieße über die Gleise der Gegenrichtung, weiche den Autos auf der Gegenfahrbahn aus und renne die Francis Street Richtung Klinikgelände hinunter. Ich vermute, Max wird wenden müssen, um mir weiter zu folgen, was einige Minuten dauern wird. Ich halte nach einer Seitenstraße Ausschau, in die ich mich verziehen kann, aber es sind alles nur Sackgassen, und ich will nicht in eine Falle geraten. Also laufe ich in konstantem Tempo weiter, bis ich das Brigham and Women’s Hospital er­reiche. Ich sehe über die Schulter zurück, um mich zu verge­wissern, dass mir niemand gefolgt ist, und entdecke Max, der sich durch die Leute auf dem Bürgersteig schlängelt. Er muss seinen Wagen einfach auf der Huntington Ave stehengelassen und noch rechtzeitig die Gleise überquert haben, um mitzubekommen, welchen Weg ich genommen habe. Ein flüchtiger Blick genügt, und es ist klar, dass er ein gut trainierter, schneller Läufer ist. Und dass er mich ins Visier genommen hat.

Kapitel 31
    A uf dem Vorplatz der Klinik renne ich zwischen den in zwei Reihen parkenden Autos und den alten Leuten durch, die trotz ihrer Gehstöcke unsicher schwanken, und stürme zum Haupteingang des Brigham and Women’s Hospital. Ich stolpere durch die Drehtüren in eine helle, überfüllte Vorhalle, entscheide mich willkürlich für einen der Korridore und renne ihn hinunter, bis ich zu einer Reihe Fahrstühle komme, bei denen eine Tür sich gerade schließt. Ich halte meine Hand dazwischen, die Tür öffnet sich wieder, dränge mich hinein, drehe mich um und werde zu einem weiteren ausdruckslosen und anonymen Gesicht auf dem Weg nach oben.
    Im sechsten Stock steige ich aus, gehe in normalem Tempo einen strahlend weißen Korridor hinunter, finde ein Wartezimmer, gehalten in beruhigenden Farbtönen, und lasse mich auf einen Stuhl fallen. Ich atme tief durch, dann noch einmal. Mit Sicherheit habe ich ihn jetzt abgehängt, doch er hat garantiert gesehen, wie ich das Krankenhaus betreten habe. Aber er weiß nicht, in welche Richtung ich die Vorhalle verlassen habe, und er war definitiv nicht mit mir im Fahrstuhl. Er kann unmöglich wissen, dass ich im sechsten Stock in einem Wartezimmer sitze, einen hübschen Blick auf das Joslin Diabetes Center habe und einen ganzen Stapel des People Magazine , um mir die Zeit zu vertreiben.
    Im Moment will ich nur noch heulen.
    Was genau das ist, was die Frau mir gegenüber gerade tut.
    Ihre Schluchzer kommen von irgendwo aus den Tiefen ihrer Brust; sie versucht sie zu ersticken, indem sie sich Taschen­tücher vor den Mund presst, was das Schluchzen lediglich zu einem erstickten Bellen verzerrt. Da die feuchten Taschentücher für diese Aufgabe denkbar ungeeignet sind, hebt sie den Unterarm, nimmt mit dem linken Zeigefinger das Bündchen ihres Pullovers und saugt so ihre Tränen auf. Dabei verrutscht ihre Brille. Sie fällt zu Boden. Ich hebe die Brille auf und gebe sie ihr.
    »Tut mir sehr leid«, sage ich.
    »Danke«, stößt sie hervor.
    Ein untersetzter Mann kommt mit zwei kleinen Pappbechern Kaffee herein. Er gibt ihr einen. Sie nimmt ihn und versucht, ihre bebenden Lippen am Becherrand zu beruhigen.
    »Sie hatten kein Splenda, also habe ich Sweet’n Low genommen«, sagt er.
    »Danke«, stößt sie wieder hervor, mit geschlossenen Augen.
    Wir sind nur zu dritt in dem Zimmer. Ich möchte ihnen Raum geben, muss aber auch etwas erledigen, also verziehe ich mich in die hinterste Ecke, hole mein Telefon hervor und rufe per Kurzwahl Parnell an. Als ich aufschaue, sieht der Mann mich böse an. Ich beende den Anruf sofort und fühle mich so richtig mies.
    Dann gehe ich auf den Flur, sehe mich nach einem anderen Sitzplatz um, finde aber keinen. Also springe ich in den nächstbesten Fahrstuhl, der sich öffnet. Wie sich herausstellt, fährt er ohne Zwischenstopp runter ins Erdgeschoss. In dem hellen, belebten Flur auf Straßenniveau sehe ich hastig in alle Richtungen und rechne damit, dass jeden Moment Max auftaucht. Auf einem Schild vor mir steht Kapelle, mit einem Pfeil, der den Flur hinunterzeigt. Schnell schlage ich diese Richtung ein, ziehe eine seltsam schwere Tür auf und betrete einen Raum mit gedämpftem Licht und wohltuender Stille. Gott sei Dank, keine Kirchgänger. Auf einem hübschen, blaugemusterten

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