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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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begonnen hat. Vielleicht mag er aber auch einfach nicht mehr weglaufen und ist bereit, es mit der Kanone an seinem Unterschenkel drauf ankommen zu lassen. Länger als ein paar Tage wird er es ohnehin nicht im Exil fern seiner Wohnung aushalten. Eigentlich ist er sowieso nur hier, um mich von meiner Wohnung fernzuhalten.
    Was mich betrifft, so kann ich’s kaum erwarten, dass sich die Behörden Johnny schnappen. Die Ermittlungen gegen den Jagd-Ring werden höchstwahrscheinlich recht schleppend verlaufen. Es könnte Wochen dauern, bis genug Beweise für seine Mittäterschaft vorliegen. Ich muss ihn neutralisieren, bevor er an Noah, Parnell oder mich herankommt. Aber wie? Die einzige Antwort scheint zu sein, ihn auf die eine oder andere Weise mit dem Mord an Mrs Smith in Verbindung zu bringen.
    Ich habe einen großen Vorteil. Im Augenblick weiß er nicht, wo Parnell, Noah und ich uns aufhalten. Aber das wird nicht lange so bleiben: Parnell wird sich nicht in einem Hotel verkriechen, und Jeffrey wird Thomasina und Noah nicht ewig von der Stadt fernhalten können. Was immer ich tun werde, ich muss es schnell tun.
    Ich rufe Jeffrey vom Zimmertelefon aus an. Er ist erleichtert, von mir zu hören. Er sagt, im Moment säßen sie gerade beim Mittagessen in einem Ferien-Resort in den White Mountains. Maisbrot, ein herzhaftes Stew. Ein wunderbarer Blick aus dem Fenster.
    Gut zu wissen, dass wir alle ganz exzellent untergebracht sind.
    Jeffrey erzählt, sie hätten sich heute Morgen ein bisschen die Farbenpracht des Indian Summer angesehen, aber der Höhepunkt der Saison sei wohl schon vorüber. Er klingt auch nicht ansatzweise begeistert. Er spielt noch keine vierundzwanzig Stunden den Reiseleiter, und schon ist er es leid.
    »Wie läuft es bei euch?«, fragt er angespannt.
    »An der Lösung des Problems wird gearbeitet.«
    »Verdammt, Pirio.«
    »Gib mir ein bisschen Zeit.«
    »Wie lange?«
    »Bin nicht sicher.«
    Thomasina kommt an den Apparat. »Noah will wissen, wann er wieder in die Schule geht.«
    »Bald.«
    »Mir wär’s echt egal, wenn ich nie wieder in meinem Leben einen Scheißbaum sehen würde.«
    »Wie viele Tage sind’s schon, Thomasina?«
    »Sechzehn. Was denkst du denn? Zwei mehr, als beim letzten Mal, als du mich das gefragt hast. Große Sache, stimmt’s?«
    Bevor ich irgendetwas sagen kann, ist Noah am Telefon. »Hey, Pirio. In dem Lied, das wir immer in der Schule singen müssen, heißt es doch ›majestätische purpurne Berge‹, weißt du noch? Tja, die Berge hier sind tatsächlich purpurn, in echt. Frage ist jetzt nur, warum nennt man sie dann White Mountains?«
    »Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber ist schön, deine Stimme zu hören.«
    »Ich verpasse eine ganze Menge in der Schule. Wir wollten in Physik die Elektrizität durchnehmen, und ich glaube, ich hab das komplett verpasst.«
    »Elektrizität wird immer wieder unterrichtet.«
    »Ist nur irgendwie eine komische Zeit für Ferien.«
    »Manchmal muss man einfach mal anders sein.«
    »Aber wir haben so über haupt keinen Spaß.«
    »Das ist in Ferien viel öfter so, als du denkst.«
    »Dein Dad hat mir beigebracht, wie man Schach spielt, und das war viel besser als das hier jetzt.«
    »Hat er dir auch gezeigt, wie man Zigarren raucht?«
    »Das darf ich nicht erzählen.«
    »Du wirst bald zurück sein, und dann kannst du weiter Schach spielen lernen.«
    »Ist ziemlich schwer, aber es hat mir gefallen. Dein Dad hat gesagt, ich könnte mit ihm spielen, wann immer ich Lust hab.«
    »Klingt doch gut. Aber ich warne dich: Er wird dich nicht gewinnen lassen.«
    »Den Gegner gewinnen lassen ist nur was für Babys.«
    »Ich muss jetzt los, aber wir sehen uns bald.«
    »Tschüs, Pirio. War schön, mit dir zu reden.«
    »Tschüs, Noah. War auch schön, mit dir zu reden.«
    Die Sonne ergießt sich durch die gläsernen Schiebetüren des Zimmers. Ich trete hinaus auf den Balkon mit Blick auf den Quincy Market, in alle Richtungen strömen Menschen. Eine steife Brise reißt die letzten störrischen Blätter von den Bäumen, die auf dem Bürgersteig gepflanzt sind. Überall stehen Töpfe mit Chrysanthemen. Noch mehr Blumen, diese eingepackt in Cellophan, stehen in Wassereimern vor einem Laden, und auf einer Bank sitzen zwei Männer und klimpern auf ihren akus­tischen Gitarren. Eine solche Welt wünsche ich mir für Noah. Sicher und hell. Aber solche Welten kommen nicht von allein.
    Als ich ins Zimmer zurückkehre, sehe ich mich im Spiegel über der Kommode. Meine

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