Die Frau die nie fror
einfallen lassen.
Am Ende von Mrs Smith’ Straße biege ich auf die South Huntington ein, um diese Uhrzeit eine stark befahrene Durchgangsstraße. Die ganze Gegend hat ein heruntergekommenes, verbrauchtes Flair; tiefe Schlaglöcher, Telefonmasten, die über die Jahre von den an sie getackerten Plakaten und Ankündigungen der Kirche auf Augenhöhe splittrig geworden sind. Ein Stück weiter die Straße hinauf das triste Veteranenkrankenhaus und das Home for Little Wanderers . Ein Stadtteil ohne alle Illusionen.
Doch das ist keine Erklärung für das seltsame Kribbeln, das sich an meiner linken Schulter bemerkbar macht, während ich weitergehe. Es ist dieses Gefühl, das einen beschleicht, wenn man beobachtet wird oder wenn jemand hinter einem leise den Raum betreten hat, man sich umdreht und die Person entdeckt, ohne wirklich sagen zu können, woher man es wusste, dass sie da ist. Ich werfe einen Blick über die Schulter, doch ich sehe nur einen roten Hydranten, zäh fließenden Verkehr und am Bordstein parkende Autos. Ich beschleunige meinen Schritt etwas. Statt abzunehmen, wird das prickelnde Gefühl stärker.
Die Straßenbahnhaltestelle Heath Street liegt noch ein paar Blocks weiter auf der anderen Straßenseite. Ich beschließe, schon früh die Straße zu überqueren. Ich trete vom Bürgersteig und warte zwischen zwei parkenden Autos auf eine Lücke im Verkehr. Ich nehme mir die Zeit, ein gutes Stück links die Straße hinunterzusehen. Zwei Blocks zurück fährt ein blauer Camry im Schritttempo auf der rechten Spur und zwingt die anderen Wagen abzubremsen und ihn zu überholen. Der Fahrer umklammert das Lenkrad, die Hände auf zehn und auf zwei Uhr, während er nach vorne blickt und den rechten Straßenrand absucht. Offenbar hofft er auf einen frei werdenden Parkplatz. Als der Wagen näher kommt, kann ich den Fahrer besser erkennen. Scheiße . Es ist Max. Er muss mir von Mrs Smith’ Haus gefolgt sein.
Ich gehe zwischen den parkenden Wagen in die Hocke, mache mich ganz klein und halte die Luft an, als der Camry langsam vorbeirollt. Ich warte eine ganze Reihe Schläge meines hämmernden Herzens ab, bevor ich wieder aufstehe. Als ich mich schließlich erhebe, ist der Camry schon einige Blocks weiter, fährt immer noch langsam, ist aber ein gutes Stück hinter dem Betonhäuschen, das die Haltestelle Heath Street markiert.
Ich laufe hinüber und mische mich unter eine Gruppe von Leuten, die auf dem Bürgersteig warten. Die Bahn, die wenige Minuten später hält, sieht voll aus, was uns zehn aber nicht davon abhält, einer nach dem anderen die Stufen hochzusteigen, unser Ticket zu kaufen und den Mittelgang hinunter Richtung der angehängten Wagen zu strömen, wo wir uns einen Platz zwischen den anderen Passagieren Richtung Innenstadt mit ihren leeren Gesichtern suchen.
Ich gehe bis in den letzten Wagen, lehne mich gegen eine Stange, umfasse sie mit meinem Arm und starre auf die Straße hinaus, als die Bahn mit einem Ruck anfährt. Ich halte meine Augen nach einem blauen Camry offen, aber er ist nirgendwo in Sicht. Wir halten an der Back of the Hill Station. Immer noch kein Camry. Vielleicht bin ich ihm entwischt. An der Kreuzung South Huntington und Huntington Ave hält die Straßenbahn wieder, lässt weitere Leute ein- und aussteigen und wartet dann, dass die Ampel umschaltet. Als ich aus dem Fenster schaue, hält der blaue Camry an der Ampel direkt neben mir hinter drei oder vier Autos, die ebenfalls an der Ampel warten. Bevor ich mich zur Seite drehen kann, sieht Max nach oben, was Blicke anderer betrifft, anscheinend genauso empfindlich wie ich. Unsere Blicke begegnen sich in dem Moment, als die Bahn schlingernd anfährt. Der Camry fällt schnell zurück, aber man muss kein Genie sein, um sich auszurechnen, dass Max kurz nach uns grünes Licht bekommt und schnell aufholen wird. Dann muss er lediglich den Schienen folgen, bis er mich aussteigen sieht. In der Zwischenzeit informiert er Johnny über meinen Aufenthaltsort, falls er das nicht schon längst getan hat.
Die Bahn nimmt die Kurve mit einem Kreischen und rumpelt dann gewohnt langsam die Huntington Ave entlang. Pizzerien und Waschsalons ziehen an dem schmuddeligen Fenster vorbei. Ich sehe das verzerrte Spiegelbild meines Gesichts auf der Scheibe wie eine Projektion auf den vorbeiziehenden Ladenfronten. In dieser Bahn bin ich leichte Beute. Ich muss möglichst bald aussteigen. Ein paar Haltestellen ziehen vorbei – Mission Park, Fernwood. Ich
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