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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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sich über mich, küsst meine Stirn, setzt sich auf und flüstert: Horch mal. Kannst du sie hören? Die Seelöwen bellen auf den Felsen .
    »Das ist der Duft meiner Mutter«, erkläre ich Martin und unterdrücke meine Tränen. »Sie hat ihn in einem der Sommer hier oben in Labrador zusammengestellt und danach immer ge­tragen.«
    Er nimmt das Fläschchen und hält es sich unter die Nase. Er nickt bedächtig. »Riecht gut.«
    »Es macht sie wieder lebendig«, sage ich eindringlich und versuche, das Unerklärbare zu erklären. »Als wäre sie plötzlich hier.« Es ist eine Schnellstraße zu meinem unstillbaren Herzen , hätte ich hinzufügen können, wenn ich den Mut gehabt hätte, bombastisch zu sein. Zu dem Ort, an dem meine Mutter und ich uns in den Armen gehalten haben und eins waren. Es ist die in Molekülen erzählte Geschichte meiner Kindheit, die nur ich allein verstehe.
    Martin hält die kleine Flasche vorsichtig zwischen zwei Fingern und riecht noch einmal daran. Runzelt ernst die Stirn. »Ja. Ich mag es. Es ist nett.«
    Ich kann mein Lachen nicht zurückhalten. »Martin! Es ist mehr als nur nett. Es ist ein geniales Parfüm!« Die emotionalen Assoziationen, das wird mir jetzt klar, habe natürlich nur ich allein.
    Er sieht ein wenig traurig aus, weil er es nicht wirklich nachvollziehen kann. Probiert es ein drittes Mal, was mit geblähten Nasenflügeln und Kopfschütteln endet. »Ich hab doch gesagt, ich mag es.«
    »Liebster Martin«, sage ich, schließe meinen Beinahe-Bruder in die Arme und wiege ihn freudig hin und her. »Was bin ich für ein Glückspilz.«
    »Moment! Verschütte es nicht!«, sagt er lachend. Er löst sich aus meiner Umarmung, schraubt den Plastikdeckel fest auf das Fläschchen und drückt es mir entschieden und feierlich auf die Handfläche, als wäre es genau der eine richtige Schraubenschlüssel, den ich für eine wichtige Schreinerarbeit brauche.
    *
    Parnell und ich sitzen auf der Rückbank eines gelben Taxis und jagen durch den rußverschmierten Sumner-Tunnel. Es ist Montagvormittag. Gestern Nachmittag haben wir einen Flug von Hopedale nach St. John bekommen, mussten aber bis heute Morgen gegen fünf Uhr auf einen Air-Canada-Flug nach Boston warten. Als wir den Logan International verließen, sagte Parnell zum Taxifahrer nur: »Sumner-Tunnel.« Als wir uns jetzt dem Ende des Tunnels nähern und genauere Anweisungen gegeben werden müssen, sagt er »North End« und ich in exakt demselben Augenblick »Storrow Drive«. Der Fahrer reißt tollkühn beide Hände vom Lenkrad. »Entscheiden Sie sich!«
    Ich sehe Parnell an. »Deine Wohnung ist nicht sicher. Du kannst nicht dorthin zurück.«
    Seine Augen sind blutunterlaufen, und sein Gesicht ist verhärmt. »Ich brauche ein paar Dinge von dort, um diese Story zu Ende zu schreiben. Und John Oster geht mir am Arsch vorbei.«
    »Du kapierst es nicht, oder? Er ist ein Killer. Am Anfang hab ich’s ja nicht geglaubt, aber jetzt weiß ich es. Er ist hinter dir her, und ich garantiere dir, dass er deine Wohnung überwacht. Wenn du dorthin zurückgehst, springst du ihm praktisch ins Netz. Du bist wie ein Fisch, den er fängt, indem er einfach geduldig wartet.«
    »Wohin denn jetzt?«, brüllt der Fahrer in den Innenspiegel.
    Bevor wir antworten können, verpassen wir die Ausfahrt zum Storrow Drive, und er bringt uns Richtung North End.
    Parnell funkelt mich trotzig an. »Hast du mich gerade mit einem Fisch verglichen?« Er gibt dem Fahrer seine Adresse.
    Als wir uns durch die engen Straßen winden, versuche ich, ihn zu überreden, wenigstens in einem nahegelegenen Hotel zu übernachten. Nur für ein paar Tage. Völlig zu Recht weist er ­darauf hin, falls tatsächlich eine Wohnung überwacht wird, dann wohl eher meine als seine. Falls es mir also ernst damit ist, diesem erbärmlichen Mistkerl Johnny aus dem Weg zu gehen, dann sollte ich meinen Rat besser selbst befolgen und in ein Hotel gehen.
    Am Ende landen wir im Bostonian. In nebeneinanderliegenden Zimmern.
    Ich sitze auf dem Bett und versuche, mir darüber klarzuwerden, was wir tun sollen. Parnell scheint beschlossen zu haben, dass der anstrengende Teil unseres Jobs vorüber ist: Nachdem jetzt der Ring aufgeflogen ist, wir Filmmaterial und eine Story haben, sind wir dicht genug an der Ziellinie, dass wir nicht mehr ganz so wachsam sein müssen. Er hält Johnny offenbar für eine Marginalie, die sich irgendwann im Netz der offiziellen Untersuchungen verfangen wird, wenn sie erst einmal richtig

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