Die Frau die nie fror
einer Stimme, dass das kommende Herbstprogramm eines der besten seit Jahren sei. Max erzählt irgendeinen langatmigen Handlungsverlauf. Offenbar kommen in der Serie einige ziemlich verzweifelte Figuren vor. Sie strotzt nur so von Komplikationen.
»Ganz klarer Bezug zu Dickens«, murmelt Thomasina. Ich suche in ihrem Gesicht nach Ironie und finde nichts. Ihre Verwandlung in die bessere Hälfte dieses Mannes ist umfassend.
Als Max nach dem Frühstück unter die Dusche springt, ergibt sich eine Pause von dieser Scharade. Thomasina nimmt wieder erkennbare Züge an. »Bitte, Pirio. Ich weiß, du bist genervt. Man sieht’s dir übrigens deutlich an. Kein Wunder, dass Max so schnell wie möglich hier rauswill – er würde es nicht sagen, aber ich merke es an seiner Körpersprache.«
»Sorry. Es ist ein kleiner Schock. Wie lange kennst du diesen Typen? Zwei Wochen?«
»Die Zeit spielt doch keine Rolle. Wenn man älter wird, weiß man, was da draußen im Angebot ist, und ganz genau, wonach man sucht.« Sie beugt sich zu mir und flüstert: »Du gewöhnst dich besser an ihn. Denn ich glaube, er ist der Richtige.«
»Komm schon. Hör auf mit dem Scheiß, okay? Werd nüchtern und sieh dir an, wohin dich das bringt. Das kann ja wohl nicht wahr sein.«
Ihre Augen blitzen. »Ich bin gerade nüchtern. Siehst du? Ich bin stocknüchtern.« Sie streckt ihre Hände aus, damit ich sehe, dass sie nicht zittern. »Ich bin nüchtern, und es ist mir egal, was du denkst. Ich möchte gerne heiraten, und warum auch nicht?«
»Heiraten ? Hast du heiraten gesagt?«
»Ständig heiraten irgendwelche Leute. Das ist eine ganz normale Sache. Warum sollte ich es nicht auch mal ausprobieren?«
»Ausprobieren? Man probiert nicht, wie es ist, verheiratet zu sein. Es ist kein verdammtes Outfit, das man an- und auszieht. Und übrigens, du hast es ausprobiert. Schon vergessen?«
»Was meinst du? Redest du von Ned? Du weißt, wir waren nie verheiratet. Wir hatten überhaupt nichts gemeinsam. Er war für mich der vollkommen Falsche. Max ist ganz anders. Er hat einen Collegeabschluss und einen guten Job. Er kann über Bücher reden. Du hast ihn selbst gehört.«
»Er hat übers Fernsehen geredet.«
»Na und?«
»Na und? Soll heißen: Was ist schon der Unterschied zwischen Büchern und Fernsehen? Hast du das gemeint?«
»Pirio, Himmel noch mal, was für einen Unterschied macht das denn? Ich meine, hey, er ist gebildet , okay? Er kann über Dinge reden. Er kennt sich in der Welt aus. Er ist nicht langweilig.« Sie sagt nicht, so wie Ned .
»Er ist ein vollkommen durchschnittlicher Typ, Thomasina. In einem Monat hängt er dir zum Hals raus. Du bist zehn Mal intelligenter als er.«
»Bin ich nicht. Das bin ich nicht!«
Wir schweigen beide, während diese niedliche, liebesgetränkte Lüge langsam zu Boden segelt.
Sie hält sich ihre zerknüllte Serviette an die Stirn, stößt ein paar kurze Seufzer aus, als würde sie gegen Tränen ankämpfen oder nach ihnen suchen. Schließlich sagt sie gequält: »Noah braucht einen Dad. Jungs brauchen Väter. Was weiß denn ich schon darüber, wie man einen Jungen erzieht? Sie brauchen Väter – eine Frau kann einen Sohn nicht allein aufziehen. Sie brauchen jemanden, der ihnen bestimmte Dinge beibringt, wie zum Beispiel … jagen.« Sie sieht ziemlich unsicher aus.
»Hast du noch alle Tassen im Schrank?«
»Sag so was nicht zu mir. Ich gebe mir doch Mühe, oder vielleicht nicht? Siehst du, was ich trinke? Das ist eine Coke light . Ernsthaft, eine Coke light !«
Sie deutet auf ihr Glas mit der hellbraunen Limonade. Es ist immer noch voll.
»Ich habe seit einer Woche, seit wir Noahs Hamster beerdigt haben, keinen Schluck mehr getrunken und noch nicht mal eine Percocet genommen. Max hat es direkt verstanden. Er ist mit mir durch die Wohnung gegangen und hat geholfen, alles einzusammeln und zu beseitigen. Er hat gesagt, ich kann ihn jederzeit anrufen. Nach der Arbeit kommt er immer her. Er schenkt mir ein neues Leben, Pirio. Komm schon, wann hast du mich das letzte Mal lächeln gesehen, ohne dass ich high war? Ich weiß, du bist sauer, weil ich so viel Mist baue. Das bin ich auch. Ich will Noah eine gute Mutter sein. Er verdient so viel mehr, als ich ihm bislang gegeben habe. Und mit Max fühle ich mich … ich weiß nicht, wie er es anstellt, aber ich fühle mich so … also, einfach besser . Nicht geheilt, sondern besser. Als könnte ich geheilt werden. Ein normaler Mensch mit einem ganz normalen
Weitere Kostenlose Bücher