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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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Braun ihrer großen, konturlosen Lippen. Sie war alt, aber es war nicht ihr Alter, das mich störte, noch nicht mal ihre billige Kostümierung. Es war vielmehr ihre Aura von emotionalem Versagen.
    »Die Herrscherin ist das Symbol der Weiblichkeit schlechthin«, erklärt Thomasina. »Sie steht für Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit. Eine ausgesprochen positive Karte. Ich wollte sie schon immer, bekam sie aber nie und war überzeugt, ich würde sie auch nie bekommen. Dann bin ich Max begegnet und habe angefangen, ein klein wenig das Gefühl zu bekommen, als könn­ten all diese Dinge endlich auch für mich wahr werden. Also bin ich mit der heimlichen Hoffnung zu Madame Jeanne gegangen, diese Karte zu bekommen, und – kann man’s glauben? – sie tauchte tatsächlich in der zweiten Reihe auf.
    Aber das war noch nicht alles. Ich hatte auch noch das Rad des Schicksals und die Neun Kelche. Das Rad des Schicksals bedeutet, eine wirklich große, positive Veränderung steht unmittelbar bevor. Und die Neun Kelche? Na ja, das ist so ungefähr die beste Karte, die’s gibt. Reichtum, Erfolg, Erfüllung – es wird alles vorausgesagt, in einer einzigen Karte. Diese drei zusammen zu bekommen, das ist einfach unglaublich! Es ist, als stünden die guten Sterne Schlange, und die ganze Welt wird plötzlich ein besserer Ort. Witzigerweise habe ich immer gedacht, dass es irgendwann genau so kommen würde – dass mein Leben sich eines Tages einfach ändern würde. Jahre, in denen ich ziellos getrieben wurde – und dann, eines schönen Tages, würde ich aufwachen und alles wäre anders, besser – so wie es immer sein sollte . Madame Jeanne wollte wissen, was los sei, und die einzige Veränderung in meinem Leben war Max.«
    Ich habe sie noch nie so im Wahn gesehen. Und das will was heißen. »Was du da beschreibst, ist keine Liebe. Es ist noch nicht einmal Verliebtsein.«
    »Was ist denn schon Verliebtsein? Ist es nicht so etwas wie Hoffnung? Eine verrückte Hoffnung?«
    »Nein.« Das kann es nicht sein. Aber ich bin nicht sicher. »Bist du mit Max wirklich glücklich? Nur mit ihm und keinem anderen?«
    »Ich verstehe ja, warum du skeptisch bist. Ich weiß, ich handle momentan etwas impulsiv. Aber wenn ich an das glaube, was ich tue, mit ganzem Herzen an diese Wahl glaube und alles gebe, wer will schon sagen, ob nicht in fünf Jahren Liebe daraus geworden und am Ende doch alles gut ausgegangen ist?«
    »Aber was ist mit heute , Thomasina?«
    »Max tut mir gut. Ich war schon so lange nicht mehr mit jemandem wie ihm zusammen.« Sie nimmt die Coke light und nippt wie eine willensstarke Zehnjährige am Rand. Weicht meinem Blick aus.
    Das Problem mit Alkoholikern ist, dass man so leicht meint, der Grund für ihr Handeln zu sein. Dass meine Skepsis gegenüber ihrer Gefühlsduselei sie zu dem verflucht, was in Wirklichkeit unausweichlich ist. Vielleicht redet sie sich das am Ende selbst ein, zumindest gelegentlich, in den künftigen Stunden des bitteren, einsamen Stupors, die sich schon heute – anhand ihrer verkrampften Finger, die das Glas umklammern, und ihres seltsam verzerrten Mundes – vorhersagen lassen.
    *
    In Noahs Zimmer steht ein Bett, ein Schreibtisch, ein Schaukelstuhl, ein Aquarium und eine türkise Lavalampe. Auf jedem Quadratzentimeter Wand kleben Poster, und jeder Quadratzentimeter horizontale Fläche ist belegt mit Büchern, Projektmappen, Werkzeugen und Zeugs. Die Jalousien sind heruntergelassen; von den Stangen hängen schmutzige blaue Vorhänge. Noah liegt, komplett angezogen, auf seinem zerwühlten Bett und ist vertieft in ein Comic-Heft.
    »Ist er weg?« Der Satz klingt nach geduldigem Leiden.
    »Ja.« Ich setze mich in den Schaukelstuhl.
    Noah blättert langsam eine Seite um. Man sieht nur den oberen Teil seines Kopfes. »Ich mag Thor lieber als das hier. Der Hulk wird immer blöder.«
    »Tatsächlich? Wieso?«
    »Er sagt blöde Sachen.«
    »Und Thor nicht?«
    »Nicht so blöde.«
    »Oh.«
    Er klappt das Comic-Heft zu. »Willst du die Kiste sehen, die ich gefunden habe?«
    »Mhm-mh.«
    Er krabbelt auf die Füße, kniet sich neben das Bett, zieht eine Holzkiste darunter hervor und legt sie mir in den Schoß. Die aufgemalte Flamencotänzerin ist leicht verblasst – dunkle, hoch aufgetürmte Haare, zwei Kleckse Rouge auf den Wangen, Kastagnetten in den gebogenen Handgelenken. Sie dreht sich und zeigt unter ihrem roten Kleid eine aufreizende Fülle von weißen Petticoats. Er gibt sich große Mühe, mir zu

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