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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Elo
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zeigen, wie der Deckel in eine Nut passt, die sich geräuschlos aufschieben lässt und einen Hauch von süßlich schmutzigem Tabakduft freigibt. Drinnen ist nur etwas Holzwolle.
    »Was willst du da hineintun?«
    »Nichts.« Noah dreht die Kiste um und zeigt mir, wie man einen doppelten Boden öffnen kann, indem man an einer Ecke drückt, bis sich die andere Seite langsam hebt. Die Verarbeitung ist genial und präzise; das Geheimfach hat die Größe eines Sets Spielkarten. Es ist außerdem leer.
    »Und was kommt hier hinein?«, frage ich.
    Er zuckt lässig die Achseln und schaut mich nicht an. Ein Mann und seine geschäftlichen Angelegenheiten. »Weiß ich noch nicht. Vielleicht Geld.« In seinen Bewegungen liegt etwas Raues, Mechanisches, als er die Kiste schließt. Die Spielzeit ist vorbei.
    Aber Pirio, die gute Fee und Patentante, lässt ihn nicht einfach so davonkommen – die Realität mag herb sein, aber ein Geheimfach ist immer noch ein Geheimfach. »Geld ist gut«, sage ich. »Schätze sind besser.«
    Unsere Blicke treffen sich, dasselbe herzerweichende Grau wie Thomasinas, und sein zusammengekniffener Mund entspannt sich ein wenig. »Was für Schätze?«
    »Rubine, Schildpatt, die Rinde eines Mangobaumes.«
    Er nickt und denkt ernsthaft über die Liste nach. Dann erzählt er mir, wenn man Methangas anzündet, würde es explodieren. »Kühe pupsen Methan, genau wie wir. Das macht die Erderwärmung schlimmer.«
    Ich erkläre ihm, wenn wir die Energie des Methangases einfangen könnten, bräuchten wir keine Kohle- oder Atomkraftwerke. Das Problem wäre die Lösung.
    »Stimmt.« Jetzt ist er ganz aufgeregt und mir weit voraus. »Wir stecken alle Kühe in ein großes Gebäude und decken es ab, mit zum Beispiel so einem Plastikding, und dann würden wir das Gas mit Ventilatoren absaugen« – er hält sich mit den Fingern die Nase zu – »und schicken das Gas in Röhren in die Stadt und zünden es an.«
    Während er redet, beugt er sich vor, die Ellbogen auf den Armlehnen des Schaukelstuhls, und gleitet dann ganz ungezwungen neben mich, als würde er sich nur hinüberlehnen, und eine Minute später sitzt er auf meinem Schoß. Wieder der kleine Noah, mit Haar so fein wie Seide und einem lieblichen Duft.
    Wir entwerfen ein paar Szenarien mit möglichen Methan-Sammel-Apparaten, die die Tiere wahrscheinlich nicht stärker belasten und entwürdigen würden, als sie ohnehin schon unter der Menschheit leiden.
    »Warte«, sagt Noah. Er durchquert das Zimmer auf leisen Sohlen, zieht eine Schublade auf und nimmt etwas heraus, das in seine Handfläche passt. Er kommt zurück, öffnet langsam die Finger und zeigt mir das Objekt. Es ist der Walknochen. »Ich werde das hier in mein Geheimfach legen, dann kann niemand es finden, nur du und ich. Und ich werde es ihn ­niemals angucken lassen.« Er nickt mit dem Kopf Richtung Tür.
    Wir gehen ins Wohnzimmer, wo Thomasina mit einer Tasse Kaffee und dem Globe auf der Couch kampiert. Es fühlt sich in Ordnung an. Sonnenschein. Samstagmorgen. Die Wohnung ist sauber, Thomasina nüchtern. Noah hüpft neben sie und lehnt sich gegen ihren Arm.
    »Hungrig, Süßer?«
    »Nein.«
    Mutter und Sohn lächeln sich an. Thomasina legt ihm den Arm um die Schulter, und er schmiegt sich an sie. Sie haben gemeinsam schon eine Menge durchgemacht, und wenn sie sich finden, dann sind sie zu Hause.
    Zeit für mich zu gehen. All die fragwürdigen Dinge, über die ich reden wollte, erscheinen im Augenblick nicht mehr so wichtig.
    *
    Der Anruf von Thomasina kommt am selben Abend. »Max und ich dachten, vielleicht nächstes Wochenende. Foxwoods, meine ich. Nur zwei Nächte. Oder nur eine, wenn’s dir lieber ist. Das heißt, falls du überhaupt kannst.« Kurzes Schweigen. »Du wirst Noah doch nehmen, Pirio, oder? Er schläft ja bei niemand an­derem.«
    »Ja, klar.«
    »Oh, danke, vielen, vielen Dank. Ich bin dir so dankbar – du hast ja keine Ahnung.«

Kapitel 15
    A n einem Samstagabend besteht das Publikum von Mur­phy’s Pub aus einer zusammengewürfelten Menge müde aussehender Singles. Die Männer tragen Flanell und schmutziges Denim, die Frauen hautenge Jeans und viel zu viel Eyeliner. Aus der Musikbox dudeln zeitlose Oldies, und im Fernseher über der Theke läuft ein Spiel der Red Sox gegen die Orioles, das in Baltimore stattfindet. Ein paar Typen auf Hockern starren auf den Bildschirm. Ich setze mich zwischen zwei von ihnen und bestelle bei einem freundlichen, korpulenten Barkeeper

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