Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
sie salutieren zum Spaß. Als sie wieder in der Wohnung sind, lachen sie noch immer, über den fröhlichen Tag, über ihre albernen Gespräche, darüber, dass sie die gesamte Umgebung der Fabrik erkundet haben und die ganze Zeit für ein Liebespärchen gehalten wurden, das einen Spaziergang macht. Die Wohnung ist kahl und gleichgültig, wie Mr Potters Büro. Bar jedweder Anhaltspunkte. Aber es gibt andere, in der Art, wie sie miteinander reden, in den Blicken, die sie wechseln. Irgendetwas Neues, etwas Schockierendes und Unerwartetes ist in ihr. Es hat mit Clément zu tun, mit Kindheit und Jugend, mit Furcht vor der Vergangenheit und der Zukunft.
»Soll ich bleiben?«, fragt Benoît. Sein Gesicht lässt leise Unsicherheit erkennen und einen Anflug von Verständnis.
Sie zuckt die Achseln. »Wir haben nichts zu essen.«
»Ich kenn da was gleich um die Ecke.« Er kennt immer irgendwas oder irgendwen gleich um die Ecke. So hat er die Fahrräder besorgt. Diesmal ist es ein kleines und verschwiegenes, von Basken betriebenes Bistro, wo sie garbure essen und herben Wein trinken und sie seinen Fragen ausweicht, als er wissen will, was sie in Paris gemacht hat und warum sie noch mal dorthin muss. Aber sie nehmen die Umstände widerspruchslos hin. Das haben sie gelernt – für den Moment leben, ohne daran zu denken, was passieren könnte. »Komm, wir gehen zurück«, sagt sie und verlangt die Rechnung.
Sie schleichen sich in die Wohnung, wie Diebe. In der Diele kommt es zu einem Moment der Verlegenheit. Er macht Anstalten, ins Wohnzimmer mit dem altersschwachen Sofa zu gehen. Sie legt ihm eine Hand auf den Arm. Eine Weile verharren sie so, als würde er ihr noch eine letzte Chance geben. Und dann gehen sie ins Schlafzimmer. »Weißt du, was mir an diesem Unterschlupf nicht behagt?«, sagt Benoît. Er spricht leise, als könnte jemand lauschen.
»Klar weiß ich das. Es gibt keinen zweiten Ausweg. Wenn einer durch die Haustür reinkommt, sitzt du in der Falle.«
»Fühlst du dich wie in der Falle?«
»Wenn ja, ist es eine Falle, die ich mir selbst gestellt habe.«
»Dann ist ja gut.«
Sie weiß nicht genau, wie es jetzt weitergehen soll. Beim letzten Mal, als sie im Dunkeln durch das Haus ihrer Eltern schlich, lag es auf der Hand. Aber jetzt, in diesem schäbigen Zimmer mit der nackten Matratze und der nackten Glühbirne an der Decke, ist alles anders. Sie macht einen Scherz – »Wie das hier geht, haben sie uns in Beaulieu nicht beigebracht« –, und dann dreht sie ihm den Rücken zu, um sich auszuziehen. Eigentlich ist das hier ein empörender Verstoß gegen alles, was sie sich je vorgestellt hat, sogar gemessen an dem einen Mal in Oxford, das damals irgendwie eine gewisse Logik hatte, Teil ihrer Vorbereitung auf das Leben hier in Frankreich war. Aber dem ist nicht so. Sie will es. Die einsame Glühbirne leuchtet kläglich von der Decke. Sie würde lieber das Licht ausmachen, sie würde sich lieber woanders ausziehen, sie würde lieber im Dunkeln ins Bett kriechen und so tun, als würde das alles nicht passieren. Aber dann wäre es wie in Oxford, und seitdem hat sie sich weiterentwickelt, oder nicht? Sie hat neues Terrain betreten, eine neue Welt. Sie dreht sich um und setzt sich aufs Bett, kämpft gegen den Impuls, ihre Brüste zu bedecken, eine Hand in den Schoß zu legen, um die Haare dort zu verbergen, sich vor seinem Blick zu schützen. Sie nimmt hin, dass das Licht brennt, dass er schamlos dasteht, vor dem Fenster, und seltsame Schatten über seinen Körper fallen. Noch nie hat sie einen Mann so nackt gesehen, so unverhohlen nackt. Sie möchte über den Anblick lachen, und sie möchte, dass er mit ihr lacht. Sie liebt sein Lachen, das ihr wie eine Art Kommunion vorkommt, fast wie etwas Heiliges – genau das weckt ihr Verlangen nach ihm, was irgendwie ein absurder Gedanke ist: Lachen als Aphrodisiakum. Aber sie traut sich nicht zu lachen, für den Fall, dass Lachen in dieser ungewohnten Welt etwas anderes bedeutet. Es kann so schwierig sein, genau zu enträtseln, was die Dinge bedeuten. »Beim letzten Mal hattest du Angst vor mir«, sagt er.
»Damals hatte ich vor allem Angst.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»Bloß vor manchem.«
»Nicht vor mir, hoffe ich.«
»Nicht vor dir«, bestätigt sie.
Sie legen sich zusammen auf die Matratze, und sie schmiegt sich in seine Arme, klammert sich an ihm fest, als würde sie weggefegt, wenn sie loslässt. Er hat noch immer den Geruch des Tages an sich, eine Mischung aus
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