Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Gilbert zu kontaktieren? Wieso soll er überhaupt irgendwas erfahren? »Ich hab Marcelles Funkgerät benutzt.«
Er zieht an seiner Zigarette und beäugt sie misstrauisch. »Seit wann sind Sie Pianistin?«
»In der Ausbildung lernen alle die Grundkenntnisse.«
»Wie auch immer, wir erwarten beim nächsten Vollmond wieder eine Lieferung aus der Luft. Da können Sie nicht weg.«
»Das kann Gaillard erledigen. Er weiß genau, was zu tun ist.«
»Er bringt bloß wieder Marcels Leute mit, und die klauen die Hälfte von dem Zeug.«
Es ist ihr egal. Marcels Männer werden mit allem, was sie sich unter den Nagel reißen, nützliche Dinge tun. Sie sind Kommunisten, und daher sind sie organisiert und engagiert zugleich. Bei den anderen haben zu viele gemischte Motive.
»Sie sind kaum zwei Monate hier und treiben sich die meiste Zeit im verdammten Paris herum. Ich könnte Ihnen befehlen, hierzubleiben.«
»Da sollten Sie lieber in London nachfragen.«
»Was weiß London denn schon, verdammt noch mal?« Er blickt sie finster an und zieht wieder an seiner Zigarette. »Und Sie müssen wieder nach Toulouse. Sofort.«
»Wieso denn das?«
»Schon wieder so eine Idee von London. Warum halten die sich nicht einfach raus? Diesmal geht’s um einen Konflikt mit der RAF. Wir müssen beweisen, wozu wir gut sind, und sollen dafür irgendwas in die Luft jagen, sonst schicken die ihr Bomberkommando und machen die halbe Stadt platt. Reine Politik. Wir haben schon genug politische Streitereien unter den Franzosen. Politische Streitereien zu Hause sind nun wirklich das Letzte, was wir gebrauchen können. Aber wie’s aussieht, halten unsere Bosse gezielte Zerstörungen für effektiver als Flächenbombardierungen, deshalb sollen wir sozusagen eine kleine Vorführung machen. Die Überlegung ist ganz einfach: Wir riskieren das Leben von ein paar Saboteuren statt von einhundert Bomberbesatzungen, und gleichzeitig verderben wir es uns nicht mit den Franzosen, indem wir ein paar Hundert Zivilisten töten. Eine einfache Rechnung. Alles gut und schön, solange du nicht in der Gleichung mit drinsteckst.«
Sie denkt an andere Gleichungen, mit Werten, die das Vorstellungsvermögen übersteigen. Gleichungen, wie Clément sie gelöst hat und der dicke joviale Russe Lew Kowarski. Gleichungen, die Leben und Tod bemessen. Achtundfünfzigtausend. Ist das die Lösung?
»Ziel ist die Fabrik Ramier. César soll sich was überlegen und mir noch diese Woche einen Angriffsplan vorlegen, wie wir die Sache am besten durchziehen.«
»César?«
»Wer sonst?«
»Das klingt gefährlich.«
»Klar ist es gefährlich.« Er beäugt sie misstrauisch. »Läuft da irgendwas zwischen euch beiden?«
»César und mir? Was meinen Sie?«
»Ich hoffe nicht. So was können wir in unserem Ring nicht gebrauchen. Passen Sie einfach auf, dass er seine Hände aus Ihrem Höschen hält.«
Sie wird rot. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Sie wissen ganz genau, was ich meine, Madame. Es ist ganz schön störend, eine Frau wie Sie dabeizuhaben. Die Hälfte der Männer glotzt Sie lüstern an, und César würde am liebsten über Sie herfallen, wenn Sie nur in seine Nähe kommen.«
Sie schafft es, wütend zu werden. Es ist schwierig, aber sie schafft es. »Das ist eine Unverschämtheit! Ich seh ihn kaum. Es ist ja wohl nicht meine Schuld, was in den Köpfen von Männern vorgeht.« Sie starrt ihn erbost an, findet ihn grässlich und unfähig, ein Mann, dem die Nerven blank liegen, wie etwas, das in einer Metzgerei an einem Haken hängt. Er gibt als Erster nach, wendet sich von ihrer Wut ab. »Jedenfalls, sagen Sie ihm, was ich gesagt habe. Die Fabrik Ramier. Wir brauchen umgehend einen Bericht. Ich schätze, ein Kommando von einem Dutzend Männern müsste genügen, so um den Dreh, aber das soll er entscheiden.« Er zieht an seiner Zigarette, dreht sich demonstrativ zum Fenster und schaut hinaus. »Sie gehen besser zuerst. Ich warte hier, bis Sie ein gutes Stück weg sind.«
Sie öffnet die Tür und tritt hinaus in die Diele. Gabrielle steht oben am Treppengeländer und späht nach unten. Obwohl es schon neun Uhr morgens ist, trägt sie noch ihr Nachthemd. »Gehst du schon, Alice?«, ruft sie. »Ist Roland noch da?«
Als Alice nach oben schaut, kann sie ihre weißen Beine und ungelenken Knie sehen. »Keine Sorge«, ruft sie hinauf. »Ich bin sicher, er geht nicht, ohne Auf Wiedersehen zu sagen.«
III
Am frühen Abend tritt sie in Toulouse aus dem Bahnhof und macht sich auf
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