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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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die Dörfer zu kriegen. Seit kurzem wird uns die ganze Gegend als Reservat verkauft, ein Biosphärenreservat oder wie das heißt, mit den Stempeln von der Unesco   … Sie sollten öfter in Ihre alte Heimat kommen!   … Und jetzt pfeifen mit dem Wind auch die Marketingleute durch die Landschaft und werben für die Rhönforelle, das Rhönschaf, den Rhönapfel, Rhöner Kümmelbrot und Rhöner Ökobier und was weiß ich noch alles. Und die entdecken nun, was wir beide seit Jahrzehnten wissen: Hier ist die logistische Mitte Deutschlands. Und, haben Sie das schon gehört? Die ganze Region kriegt einen neuen Stempel: Land der offenen Fernen   … Nicht wahr, das klingt doch fast schon nach Nolde oder Schmidt-Rottluff   … Nein, ich nicht, da können Sie sicher sein. Landschaften male ich nicht und Sonnenuntergänge erst recht nicht. Gerade weil ich Landschaften liebe und Sonnenuntergänge sowieso, wer liebt sie nicht, die Feier der Natur, oder wie heißt es im Gedicht?   … Na, sehr viel haben Sie von mir noch nichtverstanden, junger Mann, dass Sie so fragen. Weil die Landschaft ein schwieriges Feld ist, das ist was für Genies oder für Hobbymaler. Ich gehöre weder zu der einen noch zu der andern Sorte. Nehmen Sie allein die Schatten. Schauen Sie, wie die Schatten länger werden und wie da die Farben wechseln, je nachdem, wo sie fallen, wo sie wandern. Die Schatten sind ja wie ein Chamäleon, genau genommen. Und welcher Maler kann schon Schatten malen? Ich achte da immer wieder drauf, wenn ich durch die Museen streife. Wenn Sie beispielsweise eins unserer bekanntesten Gemälde nehmen,
Goethe in der Campagna
von Tischbein, sehen Sie sich das mal an im Städel in Frankfurt, Sie werden staunen, wie schlampig der Tischbein die Schatten gemalt hat, von dem berühmten, viel zu lang geratenen linken Bein ganz zu schweigen. Oder nehmen Sie Picasso, der größte Maler unseres Jahrhunderts angeblich, ich halte ihn ja für überschätzt, das sag ich frei heraus. Schauen Sie mal hin, ganz genau hin, bei Schatten war er immer unbeholfen, und dann hat er den Stil gewechselt und abstrakt gemalt, da brauchte er keine Schatten mehr. Der hat sich vor der Schattenmalerei gedrückt, könnte man sagen. Was halten Sie von der These?   … Sie halten sich da raus. Sie wollen sich nicht festlegen, wenn es um Kunst geht   … Na schön. Ich jedenfalls, wenn ich gefragt werde, warum ich so halbabstrakt male, dann sag ich gern: Weil ich keine Schatten malen kann, wie Picasso   … Wissen Sie, man musssich entscheiden, als Künstler und als Erfinder. Sehr früh den Instinkt schulen, was man anfängt und was nicht. Spüren, nicht rechnen. Am wichtigsten ist die Entscheidung, nein zu sagen. Nein zu dem, was man nicht kann oder nicht will und gar nicht erst anfangen wird   … Ich geh kurz auf mein Zimmer. Treffen wir uns in einer Viertelstunde auf der Terrasse? Bringen Sie Ihren Pullover mit!   …

(Der Mann, der nicht rechnen wollte)
     
     
     
    Der Gang hat mir gutgetan. Und Ihnen?   … In Braunschweig würde ich nach der Steherei jetzt auch einen Sessel ansteuern   … Stimmt, da sind sie schon beim Festessen, harte Stühle und Konversation   … Halb neun und immer noch hell   … Die Sommerzeit, das ist für mich eine der besten Erfindungen der achtziger Jahre. Und wie bei jeder guten Erfindung, was hat es da für einen Zank gegeben am Anfang! Das Rindvieh könne sich nicht so schnell umstellen, und die Säuglinge nicht, und Europa käme ins Schleudern. Es hat nur noch gefehlt, dass die Naturschützer protestiert hätten, der Natur, den Kröten und den Föhren sei der Stress der Zeitumstellung nicht zuzumuten, so hysterisch sind die damals gewesen, erinnern Sie sich? Und heute genießen wir alle die langen, hellen, warmen Abende, nicht nur wir Maler. Eine geniale Idee, einfach die Uhr verstellen, und schon fühlt sichdie Menschheit wohler   … Ja, wenn ich das wüsste. Wie reift so ein Entschluss? Ich war fünfundzwanzig, fertig mit dem Studium, hatte einen Arbeitsplatz in den Flugzeugwerken und eine Karriere in Aussicht. Ingenieure wie wir waren gesucht, Deutschland rüstete auf, Chancen überall. Auf die Karriere musste ich verzichten, jedenfalls erst mal, das war völlig klar. Geld hatte ich auch nicht, als ich beschloss, das beste Rechengerät aller Zeiten zu erfinden   … Genau so war es, ein Beschluss. Ich hatte einen Haufen Ideen im Kopf, erste Skizzen, das hab ich vorhin schon angetippt, Rechenwerk, Speicherwerk

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