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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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Kerle tauglich geschrieben haben, oder an die Juristen, die Todesurteile verhängt haben, wenn jemand ein Brot geklaut hat, an die Lehrer, die den Kindern die Propaganda eingetrichtert haben, denken Sie an die Verwaltungsbeamten, die den ganzen Naziapparat geschmiert haben mit ihrem kriechenden Wohlwollen. Und dann die Schreiberlinge, ja, ich meine Ihre stolze Zunft, wie haben die sich geduckt, wie sind die im Staub gekrochen vor der Zensur oder haben mit Vergnügen auf die Propaganda-Pauke gehauen. Also, ich meine nur, da sitzen wir alle im Glashaus, von wenigen Ausnahmen abgesehen   … Na, sehn Sie   … Wissen Sie, was ich den jungen Leuten sage, die mir vorwerfen, an Waffen für Hitlerdeutschland mitgebaut zu haben?   … Doch, doch. Es hat zwar nachgelassen, aber Einzelne gibt es noch, an jeder Uni, in jedem Seminar fragt einer   … Ich antworte: Sie haben das gute Recht, sich darüber aufzuregen, vielleicht würde ich mich an Ihrer Stelle auch aufregen. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Ich hatte keine andere Wahl,nur so konnte ich überleben und, ganz nebenbei, den Computer erfinden. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich irgendwo bei Kiew in der Erde läge seit fünfzig Jahren?   … Darf ich Sie, sag ich dann, auch etwas fragen? Natürlich darf ich. Und dann: Darf ich Sie einmal fragen, ob Sie so moralisch streng, wie Sie gegen mich sind, auch gegen sich selbst sind? Da kocht erst mal Empörung hoch, und ich erkläre in aller Ruhe: Was wissen Sie zum Beispiel vom Waffenhandel und von der Waffenproduktion heute? In Deutschland, in unserer frisch wiedervereinigten und so überaus friedlichen Bundesrepublik? Kennen Sie die Waffenfirmen und die entsprechenden Forschungsinstitute? Wissen Sie, an welcher Stelle im weltweiten Waffenhandel unser liebes Deutschland steht? Ja, heute, wo unser alter, unser altböser Feind, der Kommunismus, schon ein paar Jahre bankrott ist? An zehnter? Nein. An fünfter? Nein. An zweiter, ja, an zweiter Stelle, noch vor den Russen und Chinesen. Keiner weiß das, obwohl es in der Zeitung zu lesen ist, hin und wieder. Da staune ich jedes Mal, auch an unseren technischen Universitäten weiß das keiner, die Informatiker sowieso nicht. Sehen Sie, sag ich dann zu den jungen Leuten, die heute produzierten und exportierten Waffen sind nicht menschlicher, wie man so schön sagt, oder unmenschlicher als damals. Es gibt nur einen Unterschied. Heute ist niemand gezwungen, in der Waffenindustrie zu arbeiten. Und heute darf jeder gegen die Produktion undden Handel von Waffen protestieren, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Warum protestieren Sie nicht gegen unsere Vizeweltmeisterschaft im Export von Waffen? Protestieren Sie doch bitte erst mal gegen das, was in Ihrer Gegenwart geschieht und was Sie nicht viel kostet, dann dürfen Sie gern auch gegen mich protestieren und gegen meine, wie Sie zugeben müssen, etwas komplexere Vergangenheit. Zeigen Sie mir, wie ernst es Ihnen ist mit Ihrer politischen Moral! Ich sag das ein bisschen diplomatischer, nicht so grob natürlich, ich will die jungen Leute ja nicht verärgern, ich will sie erziehen   … Dann herrscht Schweigen, wie sagt man, betretenes, sehr betretenes Schweigen, und allmählich kann man wieder zur Sache kommen. Da schweigen Sie auch, nicht wahr? Oder was würden Sie jetzt kontern, wenn Sie ein kritischer Student wären?   … Na, los! Raus damit!   … Das beruhigt mich, dass selbst Ihnen an dieser Stelle nichts einfällt   …

(Ein Märchen und noch ein Märchen)
     
     
     
    Richtig, die A 2.   Zweihundert Telefonrelais fürs Rechenwerk, der Speicher mechanisch wie bei der A 1, das hatte ich schon gesagt, oder?   … Manchmal weiß ich nicht mehr, ob ich das oder das schon gesagt habe vor einer Stunde oder zwei oder vorgestern. Nein, das ist nicht der übliche Alzheimer, mit dem die jungen Leute ab fünfzig kokettieren, nein, das ist eher ein Ergebnismeines guten Gedächtnisses, ein Ergebnis des Wiederholens der immer gleichen Erinnerungen. Die Geschichte meiner ersten Geräte, die hab ich so viele Male beschrieben, diese ganze Entwicklungsgeschichte immer wieder in Hunderten von Gesprächen, Vorträgen, Interviews, deshalb weiß ich gar nicht mehr, was ich Ihnen heute Abend schon an Einzelheiten auf Ihr Band geflüstert habe. Wie oft zum Beispiel hab ich Ihnen das Gleitkomma erklärt, dreimal, zweimal, einmal?   … Wirklich? Kein einziges Mal? Auch gut, dann lass ich das jetzt einfach mal weg, es gehört sowieso nicht

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