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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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Fünfundvierzig waren, fünf Wochen vor der Kapitulation   … Darauf das letzte Glas Riesling. Prost!   … Lassen Sie uns mal aufstehn und die Beine vertreten, ein bisschen länger als unsere Pinkelpausen, einfach mal auf der Straße hin und her, im Mondlicht wandeln   … Ja, klemmen Sie mir das Mikro an, ich will keine Pause   …

(Walpurgisnächte, tief unter der Erde im Harz)
     
     
     
    Also, Göttingen, und die Amerikaner stehn vor der Tür   … Ich seh schon, Sie merken, dass ich die ganze Zeit etwas rumeiere. Jetzt ist ein nicht ganzso glorreicher Moment meiner Laufbahn dran, jetzt kommt Dora. Also, kurz und schmerzlos. Wir sollten unsere gute V4 verfrachten und in das unterirdische Rüstungswerk im Harz transportieren. Wir haben das inspiziert und wir waren entsetzt. Tausende von Häftlingen, völlig verhungert, mit Fetzen bekleidet, haben da gearbeitet an Raketen und Bomben und Granaten, in unterirdischen, riesigen Stollen. Man hatte die Häftlinge aus den KZs des Ostens hierher getrieben, die wenigen, die noch kräftig genug waren, durch Schnee und Kälte zu laufen. Es waren immer noch Tausende, später hab ich mal gelesen: über zwanzigtausend sollen damals dort vegetiert haben, tief unter der Erde im Harz. Und mir ist so, jedenfalls habe ich solche Bilder vor Augen, als seien die Leute zu allem Unglück noch mit Peitschen zur Arbeit getrieben worden. Aber das bilde ich mir vielleicht ein, denn die Lage war so, da brauchte man keine Peitschen. Ja, man bastelt sich die Erinnerungen auch aus Filmen und Büchern zusammen und hält sie für absolut subjektiv und authentisch, das ist ja nun wissenschaftlich erwiesen   … Wir waren vielleicht eine halbe Stunde in diesen Stollen, wir verhandelten mit dem Manager von Wernher von Braun   … Meinen Sie, ich hätte noch irgendein konkretes Bild gespeichert? Alles wegradiert, nur die stummen, anklagenden Blicke der Häftlinge, und die hundert Gesichter, die an mir vorbeigezogen sind, die sind zu einem einzigen geworden   … Nein, ich habmich nicht für die stark gemacht, es wäre völlig sinnlos gewesen. Man kommt gar nicht auf so eine Idee unter solchen Umständen. Kurz gesagt, es war grauenvoll, wir haben hier zum ersten Mal mit eigenen Augen die schreckliche Seite des Nationalsozialismus   … In dieser Hölle, und es war eine Hölle, jedenfalls habe ich nie im Leben etwas Höllischeres gesehen als das, nein, in dieser Hölle wollten wir unsere gute V4 nicht deponieren. Denn eins war klar: Wenn der Feind hierherkommt, der wird die armen Menschen befreien und dann alles ausräumen oder sprengen. In diesen Stollen hatte unser Gerät nichts zu suchen   … Die Zeit der Waffen ist vorbei, so ungefähr könnte ich gedacht haben, jetzt kommt die Zeit der Rechner   … Falls ich überhaupt noch denken konnte vor lauter Schrecken und vor lauter Sorgen um Kartoffeln und Quartiere und einen sicheren Ort für die Zukunftsmaschine. Man handelte intuitiv   … Am besten wäre es gewesen, aber wer hätte das damals wissen können, wir wären in einem dieser niedersächsischen Dörfer geblieben, wo man noch ganz gut zu essen bekam, hätten das Gerät in einer Scheune versteckt und in Ruhe auf das Ende der ganzen Bomberei und Schießerei gewartet. Hätten, hätten, hätten. Wie ich schon sagte, wir waren so treudeutsch, wir wollten uns nicht einfach dem Feind ergeben   … Immerhin, dem listenreichen Physiker ist es gelungen, uns einen neuen Befehl zu verschaffen: Ein Lkw mit Anhänger, tausend Liter Diesel,Marschbefehl nach Bayern   … Nein, der Gedanke ist mir nie gekommen. Obwohl ich mich nie näher am Harz aufgehalten habe als damals   … Nein, ich glaube, in keinem Jahr meines langen Lebens hab ich so wenig an Faust gedacht wie 1945.   Die Arbeitsstollen im Harz, das Elend, die Hölle da unten, und die Walpurgisnacht, das Höllenfest oben, das mag eine originelle Idee von Ihnen sein. Aber es ist wieder so eine typische Idee für Schöngeister, mit Verlaub, das ist Ihre Branche. Die Blicke dieser Leute in den Stollen kann ich bis heute nicht vergessen, da stand mir nicht der Sinn nach irgendwelchem Höllenzauber. Wir haben gehungert, wir wussten nicht wohin, Katastrophen an jeder Ecke. Tiefflieger sind schlimmer als Hexen, das können Sie mir glauben, und eine Leiche am Straßenrand kann einen mehr erschrecken als hundert Teufel auf einen Schlag. Nein, wer jeden Tag seine Haken schlagen muss, um dem Tod auszuweichen, und wer dann noch Dora gesehen

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