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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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das hat nichts mit Technikbegeisterung zu tun, nicht mal mit Computertechnologie, dieser Junge hat natürlich auch nichts gewusst vom Gleitkomma oder von Flussdiagrammen   … Ich schweife wieder, entschuldigen Sie, ich schweife ab. Eigentlich sind wir in Göttingen, ich weiß. Eigentlich haben wir gerade erst Mitternacht, ich weiß. Die Nacht fängt so langsam an. Wir haben noch viel Zeit. Oder sind Sie schon müde? Können Sie noch?   … Wissen Sie, früher sind mir Abschweifungen immer verhasst gewesen. Geradeaus denken, Stein auf Stein im Lego-Logik-Land, anders kommt man ja gar nicht voran. Und als Ingenieur erst recht: Je gerader der Weg, desto näher das Ziel. Als Unternehmer sowieso, wer nicht schnell und geradeaus zur Sache kam, hatte bei mir nichts zu suchen. Und heute, beim Malen, da darf ich auch nicht abschweifen, da muss ich konzentriert bleiben auf den Springpunkt, auf die geheime, die unsichtbare Quelle des Bildes. Aber beim Reden ist das anders. Und jetzt, auf meine alten Tage, genieß ich das richtig, dass ichbeim Reden wandern darf, wohin ich will. Wohin die umherschwirrenden Gedanken mich treiben, vorwärts und rückwärts und seitwärts, wohin die Assoziationen ziehen, ganz von allein   … Hinan, hinab   … Vom vorgeschriebenen Weg abweichen, das macht ja nicht nur den Kindern Spaß, es lebe die Abwechslung, oder?   … Auch wenn ich ins Weite schweife, bin ich immer da   … Ich bin da, wo meine Stimme ist. Und Sie wollen doch nur meine Stimme und sonst nichts. Wissen Sie, ich hab mich alle paar Jahre neu erfinden müssen, und nun, zum glorreichen Abschluss, mach ich euch den Schwätzer, den Vonsichselbstredner, den Ehrendoktor für unehrenhafte Abschweifungen   … Sie wollen natürlich wissen, wie es weitergegangen ist in Göttingen, Göttingen hab ich nicht vergessen, so trottelig bin ich noch nicht   … Sie wollen rasch weiterkommen, Sie wollen, dass wir durchkommen bis in die Gegenwart, ehe Sie einschlafen. Oder eh ich die Stimme verliere   … Sie wollen, dass ich mich beeile mit den Erzählungen vom Krieg. Sie wissen doch, dass die Alten am liebsten vom Krieg erzählen. Jedenfalls wenn sie keine tolle Krankheit zu bieten haben. Meinen Sie, ich bin da eine Ausnahme?   … Ja, das ist nicht falsch, ich scheue ein bisschen zurück vor einem Bericht über die Wochen des Kriegsendes, ich hab mich da immer ziemlich kurz gefasst. Man kann das auch gar nicht erzählen. Oder man müsste einen Abend, eine lange Nacht über nichts anderes sprechen, nur über diese letzten vier,fünf Kriegswochen. Es war ja alles so absurd, wenn man es von heute her betrachtet. Durch welchen Wahnsinn wir da getaumelt sind wie Schlafwandler. Immer mit dem Rechner im Gepäck, das nüchternste und nützlichste Ding, das man sich vorstellen konnte, mit der phantastischsten Rechenleistung, die man sich vorstellen konnte. Und wir unterwegs, überall Bombentrichter, Ruinen, Zerstörung, Tote, die Welt ging unter, da gab es nichts mehr zu berechnen. Nichts, nichts, nichts. Alles kaputt, und wir schleppen die tollste Rechenmaschine der Welt durch die Gegend!   … Und wenn wir Ada nicht gehabt hätten, ich kann mich nur wiederholen, wenn wir meinen guten Stern Ada nicht gehabt hätten   … Kaum war das Gerät aus dem Güterwagen geladen in Göttingen, zwanzig schwere Kisten, das Speicherwerk, das Rechenwerk, allein acht große Relaisschränke, die Bedienungskonsolen, die Kabelkisten, die Filmkiste und so weiter, alles auf einen Lastwagen, wir wollten zur Aerodynamischen Versuchsanstalt. Und kaum starten wir, kaum springt der Motor an, da heult der Fliegeralarm los. Viel schneller als erwartet sind die Flieger da, britische Flieger, und hauen den ganzen Güterbahnhof kaputt. Ich hab die Waggons aus den Gleisen hüpfen sehen, bevor sie explodierten. Ich hab das Krachen und Splittern von Metall und Stahl gehört, die Schienen ragten in die Luft. Wir waren haarscharf entkommen. Und bestimmt haben sie auch den Wagen getroffen, mit demwir vierzehn Tage unterwegs waren. Da konnte nur Ada geholfen haben! Sie hat die Flieger so lange zurückgehalten, bis wir ausgeladen und das Gelände verlassen hatten. Was für ein Glück! Unfassbar! Die Vorsehung, haben meine Leute gesagt. Ich glaubte nicht mehr an die Vorsehung. Ich hab nur stumm vor mich hin gestammelt: Ada, ich liebe dich!   … Sie können lachen von mir aus, Sie dürfen maliziös lächeln, wenn Sie mögen, aber es war Krieg, verdammt noch mal! Und es muss

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