Die Frau, für die ich den Computer erfand
endlich mal gesagt werden, wie es wirklich war … Wenn Sie unser ganzes Gespräch einmal ausgebreitet und aufbereitet haben irgendwann, dann wird man mich auch besser verstehen. Mein Geheimnis Ada ist wirklich nur im großen Zusammenhang zu sehen. Aber ich mach mir keine Illusionen. Selbst dann, wenn das alles mal offen liegt, werden viele meiner besten Freunde, die alten Kunden und Kollegen die Köpfe schütteln. Das gefällt mir ja daran, dass ich allen noch ein hübsches Rätsel zu knacken gebe, wenn ich endlich von den Wolken herunterwinken darf, nur leider ohne diesen sauberen Riesling, fürchte ich …
(Der Augenblick, auf den ich zehn Jahre hingearbeitet habe)
Sie müssen nicht an Ada glauben, es reicht völlig, wenn ich das tue. Eins steht jedenfalls fest: Sie hat uns bis in die Räume der Aerodynamischen Versuchsanstaltgeführt, die mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zusammenhing, eine gute Adresse. Dort hab ich das Gerät mit den fünf Leuten, die ich noch hatte, zusammengebaut, Ende März Fünfundvierzig. Es war kurz vor Ostern, vielleicht sogar Karfreitag, das hab ich vergessen, Feiertage interessierten uns nicht. Wir waren besessen davon, alles so schnell wie möglich bereitzumachen für die Vorführung, die erste … Und siehe da, die V4 oder A 4, wie Sie wollen, sie lief! Sie rechnete perfekt, sie rechnete schnell, sie rechnete, wie Ada und ich es immer gewünscht hatten! Die Professoren, die Kapazitäten, die Mathematiker standen herum und staunten und klatschten! Und vor allem, sie ahnten etwas von den Möglichkeiten, von der Zukunft der Rechner! Das war der Augenblick, auf den ich zehn Jahre hingearbeitet hatte. Alles, was ich mir ausgedacht habe, die Tüftelei von ungefähr einer halben Million Stunden … Das schaffen Sie sogar, das können Sie im Kopf nachrechnen, und ich bin mal nur von einer Achtzigstundenwoche ausgegangen, alles, was ich in diesen fünfhunderttausend Stunden erdacht, erlernt, erarbeitet habe, zusammengeklaubt und gebosselt, unter Lebensgefahr gerettet immer wieder! … Nein, ich will gar nicht pathetisch werden, Erfolg ist Erfolg und doch nur relativ. Die Umstände selbst sind pathetisch. Am Ende des Krieges, buchstäblich in den letzten Tagen, wird die Maschine fertig und arbeitet einwandfrei – und wir schweben auf Wolken, und von Kassel her istschon der Artilleriedonner der Amerikaner zu hören. Niemand hat sich geräuspert und feierliche Worte gesprochen, so in der Art: Dies, meine Herren, ist der Prototyp der Maschine, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts und so weiter. Nichts dergleichen. Aber geahnt haben das einige. Triumphgefühle konnten sich Ostern Fünfundvierzig wahrlich nicht einstellen. Also wieder kein Champagner, kein Lächeln vor den Kameras, nicht mal ein Riesling. Keine Presseerklärung, geschweige denn ein großer Medienchor wie heute. Statt Champagnerkorken hörten wir, wie gesagt, von Kassel her die Artillerie der Amerikaner. Darf man das dramatisch nennen in Ihrer Branche? Sie sind am Ziel und gleichzeitig in größter Gefahr. Das hat doch was, müssen Sie zugeben. Sie sind auf dem Höhepunkt und gleichzeitig am Ende. Die Amerikaner hätten in zwei, drei Tagen auch in Göttingen sein können, wenn sie zügig über die Werra oder die Weser gekommen wären … Was ich damals gedacht habe, das weiß ich noch ziemlich genau: Selbst wenn in ein paar Stunden alles in Scherben fällt, wenn dein Gerät kaputtgehauen oder gekapert wird, wenn du selbst noch im letzten Moment dran glauben musst, ein Trost bleibt: Jetzt gibt es Zeugen, nicht nur in Berlin, sondern auch in Göttingen. Seriöse Wissenschaftler sogar, glaubwürdige Zivilisten, die bezeugen können, was sie gesehen haben. Du hast etwas für deine Unsterblichkeit getan, also bleib ganz gelassen … Ich will nicht übertreiben,es ist nicht meine Absicht zu übertreiben. Sie wissen ja, dass andere Leute da ganz andere Töne anschlagen. Je weiter weg diese Zeit ist, desto mehr wird auf die Pathos-Tube gedrückt: Eine neue Zeitrechnung habe damals in Göttingen angefangen, das Bethlehem des Computers sei unsere Vorführung gewesen, hat mal einer dieser Schaumschläger geschrieben. Und das an Ostern! Daran stimmt vielleicht nur so viel, dass manche Göttinger Herren wirklich wie Ochs und Esel auf das etwas groß geratene Kind geglotzt haben … Also, wenn ich damals gedacht habe: Du hast etwas für deine Unsterblichkeit getan, dann war das überhaupt nicht
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