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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Christian Delius
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triumphal gemeint, das müssen Sie wissen. Sondern, wenn ich das mal so sagen darf, aus der verzweifelten Suche nach Sinn in dieser sinnlosen Welt, aus der Not heraus, ein Notnagel, ein Notnagelgedanke. Was soll man anderes machen, wenn man im Augenblick des Triumphs die Kanonen des Feindes hört? Wenn die Wände wackeln und die stille Hoffnung, vielleicht doch irgendwie zu überleben, schon eine Frechheit ist   …

(Die Angst vor den angenehmsten Feinden)
     
     
     
    Ja, warum? Es war schon klar, dass die Amerikaner die angenehmsten Feinde waren nach allem, was man hörte, aber eben Feinde. Wenn ich mich recht entsinne, hab ich keine Sekunde lang die Idee gehabt,mich einfach zu ergeben mitsamt der Maschine. Da hätte ich mich wie ein Verräter gefühlt, ein Deserteur. Und nicht nur, weil wir vom Geld des Reichsluftfahrtministeriums lebten   … Mein stärkster Impuls war zu fliehen. Ich war so bescheuert, ich wollte in dieser totalen Unsicherheit noch einen sicheren Ort finden. Ich hatte die Schnauze voll und konnte trotzdem immer noch nicht an das Ende glauben. Ich dachte an meine Pflicht. Pflicht!, stellen Sie sich das mal vor, vier, fünf Wochen vor dem totalen Ende habe ich noch an Pflicht gedacht! Man fasst es nicht, heute fasst man das einfach nicht. Als es nur noch um die Rettung der eigenen Haut ging und um die Schaltpläne und Relaisschränke, da wollte ich noch ganz nebenbei zur Rettung des Reichs beitragen. Das steckte irgendwo ganz tief in mir drin. So tickt er nun mal, der Preuße. So wie er heute noch in mir steckt, der Preuße, wenn er liest, dass die höheren Manager bei der Treuhand, ich meine die Riege der mittleren Direktoren, nicht die Chefs, das Zehnfache verdienen von dem, was ich in meinen besten Zeiten hatte, das Zehnfache   … Also, wahrscheinlich hab ich Ada verärgert, weil ich kein Deserteur geworden bin, weil ich noch nicht auf die Amis und die Briten gesetzt habe. Weil ich nicht mal ihretwegen, als Liebhaber sozusagen, zum Deserteur geworden bin. Und mich nicht bei erster Gelegenheit auf die Seite der Alliierten geschlagen habe. Oder weil ich unser Gerät nicht wie die Vorgängermodelle nach ihr benannt habe im Momentdes Göttinger Triumphs. Mitten im Untergang, könnte man sagen, hatte ich noch nicht alle Schalter auf Anfang gestellt, auf das große A, auf einen neuen Anfang mit Ada. Und sie hat sich gerächt dafür, glaub ich. So hab ich mir das später zurechtgelegt. Denn sie hat mir nicht eingeflüstert, dass es am besten gewesen wäre, sich in Göttingen überrollen zu lassen. Sie hat mir nicht verraten, dass Göttingen von ihren Leuten eingenommen werden sollte einige Tage danach. Die hätten uns gleich mitsamt der Maschine verhaftet und wahrscheinlich auf ihre Insel verfrachtet und mich irgendwann in ihre Labors geholt, aber das wäre weniger gefährlich gewesen als das, was wir dann durchgemacht haben   … Keiner kannte die Zukunft, keiner von uns. Wir haben in Jalta nicht mit am Tisch gesessen. Nur Ada kannte die Zukunft, da bin ich sicher, leider hat sie mir nichts davon verraten, hat mich allein gelassen mit meiner idiotischen Pflicht   … Da bin ich ziemlich sicher, wären wir geblieben, dann wär ich nach England gekommen, da hätte man in aller Ruhe und mit viel Tee mein Know-how abgeschöpft. Vielleicht hätte ich weiterarbeiten dürfen in der Gegend von Cambridge unter zehnmal besseren Bedingungen als in Deutschland. Vielleicht sogar mit Alan Turing zusammen, wir wären ein gutes Gespann gewesen, so viel ist sicher. Verzeihen Sie einem alten Mann seine kindischen Phantasien   … Wenn man so sein Leben resümiert, und das soll im fortgeschrittenen Alter ja hinund wieder vorkommen, dann bleibt man oft an diesen kritischen Stellen hängen, den Kreuzwegen, den Weichen. Man weiß nachträglich immer ziemlich genau, warum man da seinerzeit nach links gegangen ist und nicht nach rechts und warum das richtig gewesen ist. Und dreißig Jahre oder fünfzig Jahre später sinniert man plötzlich etwas blöde vor sich hin: Was wäre, wenn ich nun nach rechts gegangen wäre? Möglicherweise ein ganz anderes Leben? Andere Schwerpunkte im Beruf? Andere Wohnorte? Eine andere Frau, andere Kinder? Man muss das immer wieder stoppen, und zwar sofort, völlig fruchtloses Zeug. Die elementare Weisheit von Null und Eins, von Ja und Nein, von Und und Oder, man soll es im freien Spiel der Gedanken nicht übertreiben damit. Gut, ich wollte Ihnen nur erzählen, wie wichtig diese Weichen

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