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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beryl Bainbridge
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gegenüber zu Machtgefühlen hinreißen lasse. Aber nicht die Verletzung schrecke ihn ab, sondern die Arztrechnungen, die ihn bis heute schmerzten.
    »Rose kann nicht mitreiten«, sagte Harold und hob die Hand wie ein Verkehrspolizist.
    »Ich will aber«, widersprach sie, »das wird lustig.«
    »Du bist nicht versichert«, fauchte er.
    »Warum hast du mich dann Tausende von Meilen in diesem Lieferwagen mitfahren lassen?«, entgegnete sie schlagfertig.
    »Sie kann Gingernuts nehmen«, sagte Fury. »Die ist so alt, dass sie kaum gehen kann, geschweige denn traben.« Draußen funkelten die Felder wie Glas unter einem grellblauen Himmel. Man konnte kaum atmen. Eine schwarze Frau mit kräftigen bloßen Armen schirrte die drei kauenden Pferde ein. Von ihrem Hals baumelte ein Kreuz an einer Kette, und sie war barfuß. Rose bedankte sich überschwänglich, als sie ihr in den Sattel half. Sie merkte, dass Fury der Frau über die Schenkel strich, bevor er aufstieg.

    Bald wurde klar, dass Roses Pferd tatsächlich keine Kraft hatte. Es blieb oft stehen, um ein wenig Gras zu rupfen. Nach einer halben Stunde, als Harold und Fury schon außer Sicht waren, legte es sich hin, sodass Rose mit den Füßen den Boden berührte. Sie gab ihm einen sanften Tritt, aber es ignorierte sie.
    Sie stieg ab, wanderte über die Felder zurück und probierte spaßeshalber aus, wie weit sie spucken konnte. Dr. Wheeler war im Spucken spitze gewesen. Einmal hatte er auf dem Friedhof glatt über drei Gräber gespuckt. Sie hatte es auch versucht, aber ihr Schleim war in einem Blumentopf mit Narzissen gelandet. Daraufhin hatte er die verunreinigte Erde unter die Kiefern geworfen. Die Gaben für die Toten müsse man respektvoll behandeln, sagte er. Damals hatte sie vorgehabt, allein zum Friedhof zurückzukehren und den Blumentopf in den Tunnel am Strand zu bringen, in die sandige Dunkelheit, wo einst ein alter Mann gehockt hatte. Regierungen und Generäle feierten doch immer Gedenkgottesdienste für die Menschen, die sie in den Tod geschickt hatten. Später besann sie sich anders – es wäre auf Diebstahl hinausgelaufen.
    Als sie den Stallhof betrat, sah sie den Gelben Pullover auf den Verandastufen hocken und eine Zigarette rauchen. Als sie näher kam, sprang er auf und lief auf sie zu. »Das Pferd«, schrie er, »wo ist Ihr Pferd?« Sie wunderte sich, wie gut er sprach, kaum die Spur eines merkwürdigen Akzents.

    »Es hat sich hingesetzt«, berichtete sie. »Es kommt schon zurück, oder? Sie sind wie Hunde.«
    Er gab keine Antwort, sondern starrte nur besorgt auf die Wiese hinter ihr. Sein Gesicht war braun, aber nicht von der Sonne, sein Haar schwarz und kraus. Es war dreist von ihr, aber sie fragte, ob er eine Zigarette für sie übrig habe. »Ich geb Ihnen auch eine zurück«, versprach sie. Widerstrebend hörte er auf, den Horizont abzusuchen, und zeigte auf das Päckchen auf den Stufen. »Danke, danke«, rief sie, die Dankbarkeit quoll ihr aus allen Poren, aber er hatte schon das Tor geöffnet und ging mit großen Schritten aufs Feld hinaus.
    Das Päckchen war fast voll. Schuldbewusst zog sie zwei heraus und stopfte sie sich in die Tasche, dann hastete sie um die Hausecke. Mr Silver, vom Gegenlicht überstrahlt, pinkelte durch ein Koppeltor. Philopsona saß zusammengekauert im Gras, die Hände vor dem Gesicht. Einen Augenblick lang dachte Rose, das mache sie, um sein Geschlecht nicht zu sehen, aber dann stöhnte die Frau laut auf und schlug sich mit den geballten Fäusten gegen die Augen.
    Rose wollte sich zurückziehen, da rief Silver: »Warten Sie … bin gleich fertig.« Er knöpfte seine Hose zu und sagte: »Gehen Sie nicht, ich möchte Sie was fragen.«
    Sie erkundigte sich: »Was fehlt ihr denn?«
    »Nichts«, antwortete er, und eine Schweißperle sprang ihm von der Braue. Er nahm ihren Arm
und führte sie in Richtung Haus. »Wie gut kennen Sie John Fury?«, fragte er. »Seit wann sind Sie zusammen?«
    »Wir sind nicht zusammen«, stellte sie richtig. »Ich kenne ihn kaum … wir haben uns in einem Wald getroffen. Ich gehöre zu Harold, aber wir sind auch nicht zusammen … nicht richtig. Er hilft mir nur jemanden suchen.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Ist Mrs Fury krank?«
    »Diese Frau, nach der sie beide suchen«, fragte Silver, »wohnt die hier in der Gegend?«
    »Bitte«, sagte sie, »ich suche nach einem Mann … er hat nichts mit Harold zu tun, nur mit mir.«
    Am Haus angekommen, entzog sie sich ihm, setzte sich auf die Stufen und

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